Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
mitfahren und dann weitersehen. Ja, damit war alles gesagt. Es kamen mehrere Züge an. Die Durchsage aber lautete:
»Achtung, Achtung! Auf Gleis so und so fährt ein Militärzug ein. Zivilisten dürfen nicht einsteigen, bitte zurücktreten!« Die Soldaten hatten ihre Richtung vorgeschrieben. Ob der ankommende Zug für sie infrage kam, konnten sie von der Aufsicht erfahren. Es war schon Nachmittag. Ich saß auf meinem kleinen Koffer, fast ohne Hoffnung, in Gedanken die Nacht auf dem Bahnhof verbringend, alleine, und morgen wieder zurückfahrend. »Achtung, Achtung! Es fährt ein Militärzug ein. Er hält etwa eine halbe Stunde. Zivilisten bitte nicht einsteigen und Abstand halten!«
Während der Zug einrollte, sah ich an einem Abteilfenster ein großes Schild: ›Dieses Abteil ist reserviert‹. Militärangehörige liefen hin und her, erkundend, ob es für sie der richtige Zug war, als drei Männer in Zivil an mir vorbeiliefen und der erste von ihnen auf das Abteil zeigte. Fast am Einstieg drehte sich der letzte von den Zivilisten um und sah mich an. Er kam auf mich zu und fragte: »Sag, Mädchen, wo willst du denn hin?«
»Nach Dresden möchte ich.«
»Wie, nach Dresden«, war die Frage des korpulenten Herrn im braunen Anzug, »weißt du eigentlich, was in Dresden los ist?«
»Ja, ich habe den 13. Februar dort erlebt, nun möchte ich gerne wieder zurück«, antwortete ich.
»Na, dann komm mal schnell mit«, er nahm meinen Koffer und eilte voraus, auf das reservierte Abteil zu. Die beiden anderen Herren saßen bereits am Fenster. Etwas erstaunt sahen sie uns an, als der nette Herr meinte: »Die junge Dame möchte nach Dresden. Wie heißt du eigentlich?«
Ich nannte meinen Namen und bedankte mich bei den Herren, dass sie mich mitnahmen. Mein Retter nahm an der Abteiltüre Platz, ich neben ihm. So war ich zwischen zwei Herren platziert. Den Rucksack nahm man mir ab und legte ihn in das Gepäcknetz. Scheinbar bemerkte man meine Sorge um den kleinen Rucksack.
»Wir passen zusammen auf ihn auf«, versicherte einer.
Die drei Herren unterhielten sich. Aus dem Gespräch konnte ich entnehmen, dass sie einen Auftrag hatten und nun darüber diskutierten, ob sie auch zum rechten Zeitpunkt ankämen. Aber warum in Zivil? Was mir ebenso auffiel, war, dass sie gar kein Gepäck hatten. Jeder eine Aktentasche, der Jüngere noch eine Umhängetasche. Merkwürdig. Der Zug kam in Bewegung, so kam ich schon mal meinem Ziel ein Stück näher. Plötzlich wurde es auf dem Durchgang unruhig. Man hörte Abteiltüren auf- und zuschieben, laute Stimmen, es klang wie Befehle. Nun standen zwei Uniformierte vor unserem Abteil.
Die Türe wurde aufgerissen: »Heil Hitler, Feldpolizei! Die Ausweise und Papiere bitte!«
Der Schreck war groß. Mein Retter holte aus dem Jackett seine Papiere, zeigte sie und der Kontrollierende ging weiter zu den beiden Herren am Fenster, während der zweite Feldjäger an der Türe stehen blieb.
Ich zeigte auf meinen Rucksack und murmelte kaum hörbar: »Hab nur einen Schulausweis.« Den Finger auf den Lippen und den Kopf schüttelnd, gab mir mein Retter wortlos zu verstehen, mich ruhig zu verhalten.
»So, meine Herren, und was ist mit dieser jungen Dame?«, stellte der Feldjäger energisch seine Frage.
»Sie gehört zu uns«, antwortete mein Nebenmann, »das geht schon in Ordnung.« Die Feldjäger grüßten mit der Hand an dem Helm und gingen weiter. Meine Glieder waren steif vor Schreck. Die Erinnerung an Radebeul war mir deutlich vor Augen. Meine Angst muss mir wohl im Gesicht zu lesen gewesen sein, als mein Retter mich beruhigte.
»Sei unbesorgt, bei uns bist du sicher!« Aber so richtig sicher war für uns alle diese Fahrt nicht. Es gab plötzlich Alarm: Tiefflieger im Anflug.
Wir mussten alle den abrupt anhaltenden Zug verlassen. Es hieß: In Deckung gehen und alles hinlegen! In Fahrtrichtung links war ein Hang, der in einer Wiese endete. Mein Schutzengel, so nannte ich jetzt meinen Retter, zog mich am Arm den Hang hinunter, warf mich zu Boden und beugte sich über mich. Mit seinen Armen bedeckte er meinen Kopf. Alles geschah so schnell, dass ich gar nicht mitbekam, was eigentlich geschah. Nur das Gewicht über mir war spürbar.
»Rä-tätätä, Rä-tätätä«, machte es über uns. Die Tiefflieger überflogen etwa dreimal den Militärzug, ehe sie abbogen. Dann gaben Trillerpfeifen das Signal zum Einsteigen. Viele der Soldaten hatten sich unter den Zug gelegt. So ging alles langsam voran. Das
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