Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Einsteigen, Zurechtfinden, von dem Schreck erholen. Ehe wir wieder in den Zug einstiegen, fragte ich meinen Schutzengel, warum er sich über mich gelegt hätte. So hätte er doch eher getroffen werden können.
»Ach, weißt du, ob hier oder woanders. Wir drei werden wahrscheinlich ohnehin nicht mehr nach Hause kommen.« Ich spürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Was war da los?
Während der ganzen Fahrt konnte ich nicht mehr viel sprechen. Ich bemerkte, dass mein Begleiter mich öfters von der Seite betrachtete. Schließlich nahm er meine Hand in die seine und so schwiegen wir gemeinsam. Es muss gegen 23 Uhr gewesen sein, als wir in Leipzig ankamen. Der Zug endete hier. Die drei Herren schauten sich nach ihrem Informanten um, von dem sie weitere Anweisungen bekommen sollten. Rundum standen Häuser in Flammen. Wir waren offenbar einem Angriff knapp entkommen. Doch hier musste mich mein Engel verlassen. Er kam auf mich zu.
»Nun, Mädchen, musst du sehen, wie du allein weiterkommst. Jetzt kann ich nichts mehr für dich tun. Unser Weg führt in eine ganz andere Richtung. Pass gut auf dich auf!«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, schlang meine Arme um ihn und stammelte mit tränenerstickter Stimme immer wieder:
»Danke, danke.«
Es herrschte ein großes Durcheinander hier um den Bahnhof. Militärs gaben Ausgebombten Auskünfte, wo sie fürs Erste versorgt wurden. Sanitäter halfen alten Menschen, sich zurechtzufinden, und kümmerten sich um sie.
Die Herren waren bereits dabei, ihre Richtung einzuschlagen, als der jüngere der drei nochmals zurückkam und eilig meinte:
»Beinahe hätte ich es vergessen, geh zum Hauptbahnhof. Ab dort fahren in verschiedene Richtungen Züge für Zivilisten. Mach dich auf den Weg, unser Informant gab mir diese Auskunft, die ist verlässlich.« Er drückte meine Hand und wünschte mir noch recht viel Glück.
»Alles Gute auch Ihnen, ohne Ihre gemeinsame Hilfe hätte ich es nicht hierher geschafft. Den Rest werde ich sicher noch bewältigen, Ihnen nochmals ein ganz großes Danke.«
Er lief davon, ich sah ihm nach, meine Gedanken rebellierten. Er war auch noch jung, hatte bestimmt eine Frau, vielleicht sogar Kinder. Ich wünschte diesen Männern von ganzem Herzen, dass sie am Ende zu ihren Angehörigen zurückkehren könnten.
In welche Richtung musste ich eigentlich gehen? Durch die brennenden Häuser war es sehr hell, so würde ich vielleicht den Weg finden.
Aber erst einmal musste ich die richtige Richtung einschlagen, so befragte ich Soldaten, die gerade dabei waren, aufgeregte Zivilisten zu beruhigen. Der Befragte sah mich an, musterte mich kurz und sagte, scheinbar voraussetzend, dass ich es verstand:
»Hier geht es lang.« Mein fragender Blick ließ ihn mir mit der Hand die Richtung zeigen. Ich hob meinen kleinen Koffer auf und lief die Straße entlang. Ich war noch nicht sehr weit gekommen, wohl keine 100 Schritte, als mich jemand von der Seite ansprach. Ich blieb erstaunt stehen und sah in das Gesicht einer Rot-Kreuz-Schwester. Sie trug die Schwesterntracht, darüber einen Lodenmantel, als Gepäck hatte sie nur eine Umhängetasche. Sie nahm mir wie selbstverständlich im Gehen den Koffer ab und fragte beiläufig: »Du willst auch nach Dresden?«
»Ja«, bestätigte ich, nach Radebeul, »wenn es diese Möglichkeit gibt.«
»Komm«, rief sie, schon im Weiterlaufen, »wir müssen uns sehr beeilen, es fährt schon bald ein Zug, der hält auch in Radebeul, aber wir müssen tapfer laufen.«
Kaum konnte ich Schritt halten, dabei trug die Schwester meinen Koffer, ich hatte nur den kleinen Rucksack auf dem Rücken. Die Aussicht, es könnte ein Zug nach Dresden fahren, sogar in Radebeul halten, ließ mich meine Erschöpfung vergessen. Wenn ich auch immer ein paar Schritte hinter der Schwester herlief, so schaffte ich es doch einigermaßen mitzukommen.
Ein Zug stand bereits da, die meisten der Wartenden waren schon eingestiegen, zwei Schaffner gingen auf dem Bahnsteig auf und ab, der eine sah ständig auf die große Uhr über den Geleisen. Es ging auf Mitternacht, der Zug war voll besetzt. Die Schwester stieg vor mir ein. Es war ein durchgehender Waggon, in der zweiten Reihe stellte sie am Durchgang auf einem freien Platz meinen Koffer ab.
»Setz dich, nimm deinen Koffer zwischen deine Füße und passe gut auf ihn auf, ich wünsche dir alles Gute und eine gute Heimkehr.« Ehe ich etwas erwidern und mich für die große Hilfe bedanken konnte, war die Schwester
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