Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
tödlicher Luxus sein.
Ich hatte einen Einkaufskorb dabei und ließ mir die Lebensmittel gleich einpacken.
Frau Weber rechnete zusammen, ich bezahlte, dann gab ich ihr meine Karte und meinte so nebenbei:
»Ach, könnten Sie mir die Lebensmittel von dieser Karte mit Abrechnung in diese Tasche packen? Ich muss sie für eine kranke Dame, die auf Besuch ist, besorgen.«
Frau Weber stutzte, sagte aber schnell: »Natürlich mach ich das, ist doch selbstverständlich. Aber kannst du das alles tragen?«
»Ja, bei einer großen Familie ist man das gewohnt!«
Herr Weber machte große Augen, als ich mit gefülltem Korb und der Tasche ankam.
»Mein Gott, Kind«, staunte er, »wie hast du das nur geschafft?«
»Ach, wissen Sie, Herr Weber, wir haben einfach gelernt zu überleben, ob es immer klappen wird, das liegt nicht in unserer Hand!«
Nach einem warmen Abendessen gingen Gisela und ich in unser Bett, um Plauderstündchen zu halten. Sie hatte heute beim Auspacken der Ware geholfen und außer Bezahlung ein Päckchen Roggenkekse bekommen. Die wollten wir nun verzehren. Meine Absicht war, Gisela ein bisschen abzulenken. So fragte ich sie ab diesem Abend nur mehr, um nicht wieder in Trauer zu versinken, nach ihrem Bruder Theo. Wovon er das steife Bein hätte. Eine Weile schwieg Gisela, doch ehe sie mir die Frage beantwortete, bat sie mich ganz dringend, auf keinen Fall das Thema bei ihren Eltern anzusprechen.
»Entschuldige, Gisela, ich wollte mit der Frage keine Wunden aufreißen. Du musst es auf keinen Fall erzählen, wenn du es nicht möchtest. Es fiel mir nur gerade ein, vielleicht deshalb, weil ich eben an Frau Rudolph dachte, wie es ihr wohl so ergeht.«
Nach einer Weile begann Gisela: »Du weißt doch, ich habe dir erzählt, dass Theo im Untergrund lebt. Wie man es so nennt. Er ist Kommunist. Beim Verteilen von Flugblättern wurde er mit noch vier anderen verhaftet. Nach Monaten ließ man ihn frei, weil ihm nichts nachgewiesen werden konnte und in der Wohnung auch nichts gefunden wurde. Aber was blieb, war ein steifes Bein von den Misshandlungen.«
»Entschuldige bitte, Gisela, es tut mir leid, wenn ich dich dazu gebracht habe, darüber zu reden. Es war bestimmt keine Neugierde, vielmehr hätte es ja ein Unfall oder, wie bei unserer Frau Rudolph, angeboren gewesen sein können. Gerade habe ich so an sie gedacht, da fiel mir dein Bruder ein.«
»Ist schon gut, Peterle. Nur die Eltern sollen nach Möglichkeit nicht damit konfrontiert werden. Sie reden nie darüber.«
»Das ist doch verständlich, Gisela!«
Noch zweimal wagte ich die Hamstertour mit Lebensmittelmarken. Aber ich nahm keine Abschnitte mehr mit, sondern von jedem von uns die ganze Lebensmittelkarte. So musste Frau Weber die gültigen Marken herausschneiden und so tun, als rechnete sie die Menge zusammen. Gisela half stundenweise beim Auspacken, Regale säubern etc. Meinen Einkauf richtete ich dann so ein, wenn Gisela zu Hause war. Dann machte ich mich auf den Weg. Tagsüber war ich meist mit Herrn Weber alleine. Er las mir aus der Bibel vor, wenn ich mich nicht gerade ein wenig um das Abwaschen kümmerte, die Küche in Ordnung brachte oder mich mit sonstigen Haushaltsdingen beschäftigte. Darüber hinaus konnte ich ja nicht viel für meinen Aufenthalt beitragen.
Herr Weber freute sich, wenn er mit mir über die Bibel diskutieren konnte. Es kostete mich schon ein bisschen Mühe, all seinen Darstellungen zu folgen. Gisela ging immer geschickt der Bibelstunde aus dem Weg. So blieb mir nichts anderes übrig, als alleine seinen Vorlesungen zuzuhören.
Das Donnern und Grummeln war seit zwei Tagen nicht mehr zu überhören. Die Front rückte immer näher. Was machte ich eigentlich hier auf der Insel? War es die Strapazen wert, vor einem Elend zu fliehen, um nicht zu wissen, ob nicht ein viel größeres bevorstand? Wie hatte Max gesagt?
›Erreichen wird uns das dicke Ende überall!‹ Das Ende war nahe, aber das Donnern von schweren Geschützen, das immer mehr zu hören war, machte mich nachdenklich. Es war mir klar geworden, dass es kein Entrinnen mehr gab. Aber, gab es danach überhaupt eine Möglichkeit, von der Insel wegzukommen? Auf diese Frage wusste bestimmt niemand eine Antwort. Doch, es gab für mich einen Fingerzeig. Sicher, er mag einem Außenstehenden unglaublich erscheinen, aber ich wusste danach, dass meine Schutzengel mich begleiteten.
Wir gingen früh in unser Bett, Gisela und ich. Herr Weber wollte ja ungestört den Sender abhören.
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