Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
beiden, mich doch zum Rathaus mitzunehmen, damit ich mich nach der Möglichkeit erkundigen konnte, ob und wie ich mit einem Passierschein zu meinen Angehörigen gelangen konnte.
Es herrschte großer Andrang in dem Gebäude, die Amtszimmer waren gekennzeichnet, für Franzosen, für Holländer und andere Nationalitäten, die alle für ihre Rückkehr Passierscheine beantragen wollten.
»Gibt es eine Auskunft für Deutsche?«, so fragte ich einen Türsteher, der erfreulicherweise Deutsch sprach.
»Beim russischen Kommandanten.«
Mit Jan und Margret verabredete ich mich für später wieder in diesem Flur, damit ich den Rückweg nicht alleine gehen musste.
Für mich gab es keine Wartezeit beim russischen Kommandanten, scheinbar galt diese Aufforderung einzig für Ausländer. Ein Türsteher ging Meldung machen, dass eine Frau ihn sprechen wolle. Ich hörte eine Stimme antworten, kurz darauf ließ man mich eintreten, ein junger Kommandant trat hinter seinem Schreibtisch hervor und zeigte sich in seiner ganzen imposanten Größe. Der Offizier sprach gut Deutsch, er fragte nach meinen Wünschen und ich erklärte kurz, dass ich hier zur Schule gegangen war, nun aber gerne zu meinen Angehörigen zurückwolle. Es handelte sich um die von den Franzosen besetzte Zone, wofür ich doch sicher einen Passierschein benötigte?
»Nein«, sagte mir der Kommandant mit einem Lächeln, »Sie können gehen, wohin Sie wollen.« Es war mir aber ganz klar, dass dies nicht so einfach sein würde. Die van Enders traf ich wieder bei den Wartenden, so verbrachte ich die Zeit mit ihnen, bis sie gegen Mittag ihre Formulare zum Ausfüllen hatten.
»Was für ein Dschungel, durch den wir uns durchschlagen müssen«, klagte Margret, »hierfür brauchen wir Hilfe, wenn wir unsere Passierscheine bald haben wollen.«
Die nötigen Dokumente für die Ausreise bekamen die van Enders schon Mitte Mai 1945. Frau Rudolph meinte, als sie hörte, wie sehr sich die van Enders auf ihre Heimat freuten, ob sie mich nicht mitnehmen könnten, quasi als ihre Tochter? Wenigstens heraus aus dieser Zone, oder gar bis Holland? Sicher gäbe es von dort auch eine Möglichkeit, wieder nach Deutschland zu kommen, doch eher als von hier in eine andere Zone. Das Problem allerdings war, dass ich außer meinem Schulausweis keinerlei Papiere hatte und es somit fast unmöglich war, ohne Passierschein die Zone zu wechseln. »Das ist doch nicht schlimm, die van Enders haben doch in Dresden fast alles verloren, so auch einen Teil ihrer Papiere«, lächelte Frau Rudolph mit einem Augenzwinkern.
»Natürlich, so ist es«, sagte Jan, was ich ihm eigentlich gar nicht zugetraut hatte, so rasch auf diesen Vorschlag einzugehen.
Margret dagegen zögerte, doch die eindringlichen Argumente von Frau Rudolph überzeugten sie schließlich, und so meinte sie: »Na ja, versuchen können wir es ja.«
Nun bereiteten wir unsere Abreise vor, die van Enders bekamen Tag und Stunde der Abreise mitgeteilt, Treffpunkt war das Rathaus in Radebeul. Für mich war es nicht leicht, nun auch von dem Rest der Menschen Abschied zu nehmen, die mir lieb und wichtig waren. Die Erinnerungen an das Häuschen wurden wieder in den kleinen Rucksack gepackt, damit ich sie immer bei mir hatte. Briefe zu schreiben an Sterns, an Max und Hedy, vor allem auch an Gisela und ihre Eltern, war zwecklos. Die Post wurde kaum befördert, wenn doch, dann wurde der Inhalt genau überprüft.
In dem kleinen Koffer hatte nur das Nötigste Platz. Auf alle Fälle aber der Mantel von meinem Vater mit den schönen Pelzmanschetten von meiner Großmutter. Frau Rudolph versorgte uns noch mit Proviant und gab uns die besten Wünsche mit auf den Weg, vor allem, dass mir die Heimkehr nach Deutschland gelingen möge.
Noch einmal ging ich den Gartenweg entlang, stand vor unserem kleinen Häuschen und verabschiedete mich. Mein Herz blutete, meine Augen liefen über, ich betete um Kraft, um diesen Schmerz zu ertragen, ich betete um göttliche Hilfe, um den Weg zu meinen Angehörigen zu meistern. Dann nahmen wir von den anderen Mitbewohnern Abschied, wir wünschten uns gegenseitig alles Gute, mein Dank galt vor allem Frau Rudolph, und ein Dank Ludmila, die mich wahrscheinlich vor Schlimmem bewahrt hatte. Frau Rudolph versprach mir, sobald sich die Möglichkeit bot, Max und Hedy zu benachrichtigen, ich versprach ebenso, mich zu melden, wenn alles überstanden war.
So machten wir uns auf den Weg zur Sammelstelle, drei offene Lastwagen standen
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