Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
für einen Kreis. »Jetzt kommt mit, heute kommt kein Kommando mehr«, meinte Ludmila und schubste uns zur Tür. Es war der späte Vormittag des 6. Mai 1945.
Nun machte man sich Sorgen um mich, die beiden Damen aus Riga rieten mit ernsten Mienen, dass ich mich auf alle Fälle unauffällig verhalten sollte, Ludmila aber meinte, besser wäre der Hohlraum. Dagegen wehrte ich mich heftig. Was wäre, wenn das Haus doch geräumt werden musste, und dies in kürzester Zeit, und die Russen darin wohnen würden? Ich wäre lebendig begraben.
»Nein, Ludmila«, sagte ich, »damit wollen wir dieses Thema beenden, ich bleibe hier in der Wohnung und verhalte mich still in meinem Schlafzimmer, solange es geht. Ich kann mich nicht ewig verstecken, es muss sich doch irgendwann alles normalisieren.«
Die Russen hatten links und rechts die Villen beschlagnahmt, von meinem Fenster hinter der Gardine konnte ich beobachten, wie die schönen Möbel auf dem immer sehr gepflegten Rasen vor dem Haus zum Teil für Brennholz zerhackt wurden. Beschlagnahmte Hühner und sogar Schweine wurden unter freiem Himmel geschlachtet und gegrillt. Nicht gerade aufmunternd, was da alles geschah, es herrschte jetzt ein Krieg anderer Art. Was die einen durch Angriffe verloren hatten, verloren die anderen nun durch die Besatzer, es traf jeden, es traf uns alle.
Erst zwei Tage waren vergangen, seit wir den Keller verlassen hatten. Unsere Umgebung hatte sich in einer Woche sehr verändert. Man wusste nicht, was der nächste Tag bringen würde, aber wir lebten, nur das zählte. Frau Rudolph saß vor ihrem Volksempfänger wie jeden Morgen, sie hatte mir ein Frühstück in das Zimmer gebracht.
»Etwas muss geschehen sein, ich hörte im Radio, dass von Kapitulation gesprochen wird, es war sehr schlecht zu verstehen, dauernd waren Störungen im Apparat, ich versuche es später noch einmal. Man kann ja nie wissen, wie die Russen reagieren, falls sie mich dabei erwischen.« Die Haustüren durften tagsüber nicht verschlossen werden, es war also Vorsicht angesagt. Täglich kamen Russen aus den beiden Nachbarvillen zu uns. Scheinbar unterhielten sie sich gerne mit den beiden Damen aus Riga und mit Ludmila, meist trafen sie sich mit ihnen in Frau Rudolphs Küche.
Frau Rudolph zeigte sich auch so wenig wie möglich, Ludmila wurde gefragt, was die alte Dame mit ihrem Bein hätte, sie erklärte, dass dies von Geburt an so sei. Einer der Russen tastete darauf ihr Bein ab und hob dabei ihren Rock, scheinbar wollte er sich selbst davon überzeugen.
Trotz des schlechten Empfangs hatte Frau Rudolph doch richtig gehört. Deutschland hatte kapituliert, es war der 8. Mai 1945, die Glocken läuteten in Nah und Fern, die Menschen gingen auf die Straße, sie jubelten, sie weinten, viele beteten. Die Russen standen still auf der Straße, es schien fast, als wären sie selber in Andacht versunken. Von meinem Fenster aus konnte ich es beobachten, es war wie eine Erlösung. Auch ich weinte und dachte an alle, die ich liebte, die mir beigestanden hatten, vor allem auch an meine Angehörigen. Wie mochten sie den heutigen Tag erleben? Ob sie alle gesund und am Leben waren?
Um das herauszufinden, habe ich etwas später große Strapazen, die drei Monate dauerten, auf mich genommen. Während dieser Monate schwand oftmals die Hoffnung, dieses Ziel je zu erreichen.
Bisher war mein Versteck scheinbar sicher gewesen. Eines Morgens jedoch ging ich in die Küche, um nachzusehen, ob es ein Stück Brot, vielleicht sogar mit Marmelade, und einen Kornkaffee für mich gab. Ludmila war gerade dabei, Kaffee zu kochen und lächelte:
»Na, hast du gerochen? Komm, wir haben etwas Kaffee.«
Wir unterhielten uns nur kurz, als plötzlich ein Russe hereinkam, stehenblieb und Ludmila fragte: »Wer ist dieses Mädchen?«
Selbst erschrocken, antwortete sie, dass ich hier zur Schule ginge, aber keine Angehörigen hier hätte, die Eltern seien am anderen Ende von Deutschland zu Hause. Der Russe wollte mein Alter wissen und wie lange ich schon hier wohnen würde? Ludmila gab ihm Auskunft, sie sagte, ich sei 16 Jahre alt.
Der Russe schimpfte, so kam es mir jedenfalls vor, und eilte davon, ließ aber Ludmila wissen, dass er gleich wiederkäme. Was wollte er noch wissen? Nun hatte er Kenntnis von meiner Existenz, ich brauchte mich nicht mehr zu verstecken. Wir warteten gemeinsam auf den Russen, ich ein stilles Gebet zum Himmel sendend. Die Ängste dieser wenigen Minuten waren unbeschreiblich. Die Minuten
Weitere Kostenlose Bücher