Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
viel zu groß, so alleine in diesem Verlies zu leben. Noch war das für mich unvorstellbar. Wir konnten einfach nur abwarten, wie sich alles weiterentwickelte. Das Dröhnen schwerer Geschütze, das entfernte Anrollen von Panzern, die Tiefflieger, die knapp an Fenstern vorbeiflogen und hineinschossen, dies alles war erschreckend. Die Hoffnung schwand, die Berichte, mit denen wir nun täglich konfrontiert wurden, verbreiteten große Angst.
Anfang Mai 1945 wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich in ihre Keller zu begeben, genügend frisches Wasser in Behältern aufzustellen, Schlafgelegenheiten vorzubereiten und, wenn möglich, für eine Kochgelegenheit zu sorgen.
Wir Mitbewohner schafften mit Frau Rudolph Matratzen und Decken in den Keller. Auch die beiden Matratzen aus unserem Häuschen und unser Esstisch mit den vier Stühlen fanden im Keller Verwendung. Ich passte genau auf, dass ich den Stuhl benutzte, auf dem Karl bei seinen Besuchen gesessen hatte. Frau Rudolph schien dies zu beobachten, sie sah mich an und verstand mich ohne Worte.
So bezogen wir Quartier im Keller, sieben Personen waren wir auf engem Raum. Jan van Enders war meist sehr still, es schien so, als hätte er große Angst. Das hatten wir wohl alle. Am meisten redete Ludmila, die kleine Polin, die versuchte, uns Mut zu machen, und meinte, das bekämen wir schon hin. Diesen Satz stellte sie oft in den Raum, er klang so aufbauend, dass wir irgendwann wirklich daran glaubten.
Frau Rudolph hatte noch selbst gebrannten Schnaps von ihren Angehörigen. Es waren einige Flaschen, die sie mit in den Keller nahm, sie meinte, vielleicht könnten wir die Russen damit begrüßen, damit nicht alles so schlimm wie befürchtet würde. Ludmila aber riet ihr heftig davon ab, so könne die Situation nur noch schlimmer werden. Wir sollten uns selbst einen Schnaps gönnen, meinte nun Jan van Enders, und auf Du anstoßen, da wir nun auf Gedeih und Verderben aufeinander angewiesen waren. Wir sollten uns versprechen, so gut es ging, den anderen zu helfen und beizustehen, damit wir diese schreckliche Zeit vielleicht doch noch heil überstanden. Wir stießen an und gaben uns dieses feierliche Versprechen. Jetzt galt es nur, möglichst ruhig abzuwarten.
Am sechsten Tag wurde es ganz plötzlich sehr ruhig. Wir hörten nur noch einzelne Schüsse, die von Gewehren stammen konnten. Es gab kein Donnern der Panzer mehr, auch die Geschütze schienen verstummt zu sein. Nach unserer Uhr war es zehn Uhr morgens. Diese Stille machte uns Angst, wir dachten, dass jeden Augenblick Russen in den Keller stürmen würden. Aber irgendetwas war geschehen, nur was? Alles war ruhig, was hatte das zu bedeuten? Wir sahen einander stumm an, dann machte ich den Vorschlag, nach oben in die Wohnung zu gehen, um von einem Fenster aus festzustellen, ob die Russen da waren. Wenn jemand nach oben geht, meinte Frau Rudolph, dann sie, ihr würde schon nichts passieren. Gesagt – getan, wir warteten ungeduldig und bangen Herzens auf ihre Rückkehr. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Jan als Erster nach oben gehen würde, aber er saß blass und still auf seinem Stuhl, Schweißperlen standen auf seiner Stirn, er zitterte am ganzen Körper. Eine schier unendliche Zeit dauerte es, bis Frau Rudolph die Kellertreppe wieder herunterkam, sehr langsam, wie es mir schien, und ganz leise, mehr zu sich selbst, sagte:
»Die Russen sind da, sie räumen gerade das Eckhaus uns gegenüber. Ich gehe jetzt nach oben, wenn wir auch hier weg müssen, dann will ich wenigstens aufrecht zur Haustüre hinausgehen.«
Die beiden Damen aus Riga und Ludmila gingen mit Frau Rudolph in die Wohnung. Jan, Margret und ich blieben auf Anraten der anderen noch im Keller. Plötzlich hörten wir Stimmen und Schritte über uns, die von schweren Stiefeln sein mussten. Es wurde hin und her gelaufen, laute Stimmen waren zu hören, Türen wurden aufgerissen und zugeschlagen, alles, so erschien es uns im Keller, nahm kein Ende.
Dann kam Ludmila, ich versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, da sagte sie zu mir in ihrem gebrochenen Deutsch: »Du muscht dir ein wenig wegmachen, sie gefragt, wer noch hier wohnet, wir gesagt, ein Paar holländisch sind noch im Keller.« Sie riet mir, mich unter dem Bett zu verstecken. Jan fragte Ludmila, ob die Russen noch im Haus seien, ob wir es auch räumen müssten?
»Nein«, war die Antwort, »wir können hier bleiben in Haus, Russen jetzt weg, haben genug Haus rundum.« Sie machte mit dem rechten Arm das Zeichen
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