Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
»Sie ist eine von denen, eine Polin.« Damit drehte er sich um und verschwand in die andere Richtung.
Es war an diesem frühen Morgen schon sehr warm, aber ich fing plötzlich an zu frieren, das war kein Abschied, wie ich ihn mir gewünscht hatte, keine guten Wünsche von Jan, und Margret bekam ich überhaupt nicht mehr zu Gesicht.
Ich hatte das Gefühl, dass ich am ganzen Körper steif wurde, in Gedanken malte ich mir aus, was passieren würde, wenn alle zur Abfahrt bereit waren und ich womöglich alleine hier zurückblieb. Ich hütete mich, diesen Gedanken zu Ende zu denken …
Etwas weiter links von mir saßen noch wartende Menschen, ein junger Mann fiel mir auf, er trug beige Shorts und in derselben Farbe ein Hemd mit kurzen Ärmeln. Was sah ich denn da? Ich traute meinen Augen nicht, auf der rechten Brusttasche war auf rotem Grund ein weißes Kreuz sichtbar. Das ist doch die Fahne der Schweiz, dachte ich ganz aufgeregt.
Mechanisch nahm ich meinen kleinen Koffer und lief in seine Richtung.
»Entschuldigen Sie bitte«, sprach ich ihn auf Schwyzerdütsch an, »sind Sie Schweizer? Darf ich mich Ihnen anschließen, ich möchte in Richtung Basel.« Er stutzte, sah mich an, gab aber keine Antwort. Vielleicht hatte ich das Schweizerdeutsch doch verlernt, also ging ich jetzt aufs Ganze und versuchte es auf Hochdeutsch. Leise, fast flüsternd, sprudelte ich hervor:
»Ich bin Deutsche, bis hierher war ich mit einem holländischen Ehepaar unterwegs, wir kommen aus Dresden. Aber nun haben sie mich meinem Schicksal überlassen, ich weiß einfach nicht mehr weiter.«
»Ich bin auch Deutscher«, antwortete der junge Mann ruhig, »wir müssen aber sehr aufpassen, alles, was ihnen verdächtig scheint, nehmen sie in die Mangel.«
Er nahm mir meinen Koffer ab und erklärte mir, dass wir hier auf den Transporter warten mussten, weil wir mit den Franzosen zusammen transportiert wurden.
Der Lastwagen wurde bereitgestellt, die ersten Franzosen kletterten auf die Ladefläche, da wurde ich plötzlich von hinten an der Schulter gepackt und herumgerissen. Die rothaarige Polin sah mich mit hasserfüllten Augen an und schrie:
»Du bist Deutsche!«
Da griff der angebliche Schweizer ein. »Lassen Sie sofort meine Frau los, Sie sehen doch, dass wir Schweizer sind und wir jetzt mit den Franzosen weiterfahren.« Er schob mich auf den Transporter zu, reichte mir meinen Koffer, danach seine große Tasche, um besser heraufklettern zu können. Die Polin stand unschlüssig da, stemmte ihre Fäuste in die Hüften und gab schließlich auf. Wieder einmal war mir das Glück hold gewesen.
Es gab mehrere Sitzreihen auf dem Laster, wir hatten außen Platz bekommen, so konnten wir ungestörter die weitere Vorgehensweise besprechen. Als Erstes sagte er mir ganz leise, dass wir uns als angebliches Ehepaar duzen müssten, sein Name sei Anton Strobel, also hieße ich ab nun Edith Strobel, geborene Roth, wohnhaft in Rheinfelden, Schweiz. Dankbar war ich, dass ich im Badischen Rheinfelden zuhause war und auch die Schweizer Seite wie meine Westentasche kannte, so hatten wir eine glaubhafte Adresse. Eine gute Idee, fand auch Anton, falls wir davon Gebrauch machen müssten. Aber ganz so weit ging seine Reise nicht, er stammte aus Stuttgart. Wir tauschten noch einige Daten, damit bei eventuellen Rückfragen keine Zweifel aufkamen.
So erfuhr ich auch, dass Anton von der Front kam, sich in Radebeul bei Bekannten für ein paar Tage versteckt hatte, und als am 8. Mai 1945 der Krieg zu Ende war, in dieser Verkleidung auf den Heimweg gemacht hatte. Rechtzeitig fiel mir ein, dass ich als einziges Dokument nur meinen Schulausweis besaß, das gab ich Anton zu bedenken, falls wir noch einmal als Ehepaar auftreten mussten. Was sollten wir dann sagen? Oder wie sollten wir uns verhalten?
»Ach«, meinte Anton, »wir haben einfach nichts mehr, schließlich kannst du beim Angriff einen Teil deiner Habe verloren haben. Ich habe auch keine Entlassungspapiere, versuchen können wir es, diese Lüge ist in unserer Situation gerechtfertigt, wir können nur hoffen, dass es klappt.« Wichtig war im Moment nur eines – wir saßen in einem Transporter und es ging weiter.
Von der Umgebung bekamen wir nicht sehr viel mit, wir sahen Fahrzeuge der Besatzer, Menschen waren zu Fuß mit Karren unterwegs, von den Deutschen, so schien es, war ein großer Teil auf den Beinen, auf der Suche nach einer Bleibe, auf der Suche nach den Angehörigen, auf der Suche nach Essbarem.
Es war die
Weitere Kostenlose Bücher