Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
bereit, zwei Reihen Sitzbänke auf der Ladefläche, in der Mitte wurde das Gepäck verstaut. Es wurden die Namen aufgerufen, dann die Personen auf den Lastwagen gehievt. Als die Namen der van Enders aufgerufen wurden, gab es doch Herzklopfen. Als Jan sich meldete, sahen sie auf die Liste, dann kam prompt die gefürchtete Frage.
»Wieso denn drei Personen?«
»Das ist unsere Tochter«, erklärte Jan.
»Gut, aufsteigen bitte!«
Der erste Schritt einer langen Reise war getan.
Dicht nebeneinander saßen wir auf den Lastern, nach einer Weile hielt die Kolonne, die Fahrer stiegen aus und besprachen sich über einer Landkarte. Scheinbar hatte die ganze Fahrkolonne das gleiche Ziel. Am Nachmittag fuhren wir auf einen Kasernenhof, wir wurden aufgefordert abzusteigen und das Gepäck mitzunehmen.
Erst standen wir ratlos herum, dann wurden wir energisch in das Gebäude gewiesen und landeten schließlich in einer Halle. Auf dem Fußboden an den Wänden entlang lag Stroh, in der Mitte des Raumes war Platz, um sich zu bewegen und das Gepäck ablegen zu können. Man zeigte uns die Toiletten, als Waschgelegenheit gab es einen Raum mit einigen viereckigen Waschbecken, die vor Schmutz den Grund kaum erkennen ließen. Für alle ein Schock, keiner wusste, wo wir gelandet waren. Wenn wir schon am frühen Nachmittag einquartiert wurden, wie sollte das nur weitergehen? Am Abend brachte man uns eine Suppe mit einem Stück Brot, das Gefäß mussten wir danach säubern und für die nächsten Tage bei uns behalten, wie man uns verständlich machte. Hatten wir es auch wirklich richtig verstanden, ›für die nächsten Tage‹?
Jan und Margret machten noch am selben Tag Landsleute in dem Quartier ausfindig, die ebenfalls in ihre Richtung wollten.
Am anderen Morgen gingen wir gemeinsam auf den Kasernenhof, um die frische Luft zu genießen. Einige wagten es, die Wachen zu befragen, wie lange dieser Zwischenstopp dauern könnte, wir bekamen keine Antwort.
So verbrachten wir sechs Tage der Ungewissheit mit einer Mahlzeit am Tage, das war immer Suppe und Brot, und Brot und Suppe. Zum Glück hatten wir die Reserven von Frau Rudolph, diese teilten wir uns sorgfältig ein, um auch die nächsten Tage weniger hungrig zu überstehen. Endlich hieß es dann am sechsten Tag, dass es am anderen Morgen schon früh bis Chemnitz weiterginge. Am Morgen bekamen wir eine schreckliche Brühe, sie nannten es Kaffee, und ein Stück trockenes Brot als Frühstück. Aber die Gewissheit, dass es weiterging, ließ uns das Gebräu herunterschlucken. Die van Enders und ich hatten uns die verbliebenen Vorräte von Frau Rudolph redlich aufgeteilt, so wusste jeder von uns, was noch zur Verfügung stand.
Die Trennung kam sehr schnell, die vergangenen zwei Tage merkte ich, dass die van Enders viel mit den anderen Holländern diskutierten. Sie waren auffallend zurückhaltend und gingen mir tagsüber aus dem Weg. Auf der Fahrt nach Chemnitz saß ich neben Jan, er sprach kaum ein Wort mit mir, nur einmal erwähnte er ganz nebenbei, dass in Chemnitz die Amerikaner übernahmen, dann würde man sehen, wie es weiterging.
Es wurde mir schon bange, die van Enders und alle anderen hatten Passierscheine, mit denen sie in ihre Heimat befördert wurden, aber ich hatte nichts. Gegen Mittag kamen wir in Chemnitz auf einem großen Sammelplatz an. Eine große Wiese war der Treffpunkt für die Heimkehrer oder wie auch immer man diese Menschen nennen sollte. Vom Lastwagen herunter wurden wir befragt, welche Staatsangehörigkeit wir hätten.
Militärs, Zivilisten, auch Frauen waren darunter, wiesen uns die jeweilige Richtung der Sammelstelle, wo die Lastwagen für den Weitertransport bereitstanden.
Jan und Margret folgten den Holländern, die sie im Lager kennengelernt hatten. Mich hatten sie scheinbar vergessen, so jedenfalls stand ich eine ganze Weile unschlüssig herum und überlegte, ob ich mich einfach den Holländern anschließen sollte. Da kam Jan schon auf mich zu und erklärte mir, dass sie ab hier nichts mehr für mich tun konnten, nun müsste ich selbst zusehen, wie es für mich weiterging.
Im Weggehen drehte Jan sich noch einmal um und sagte so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen:
»Sei auf der Hut, es sind Spitzel auf die Deutschen angesetzt, wer erwischt wird, kommt auf einen besonderen Lastwagen und wird den Russen übergeben.«
Eine rothaarige Frau lief, während Jan noch bei mir stand, an uns vorbei, sie wandte sich nochmals kurz um und ging dann weiter.
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