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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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waren, den Brief mit der Todesnachricht auf der Rückseite des Umschlages. Alles wurde gelesen, wieder und wieder studiert, um und um gewendet, mir war, als würde man mit einem spitzen Dolch mein Herz berühren, meine Seele blutete, ich hatte plötzlich Angst, die Fassung zu verlieren und laut zu schreien. Wie kann man nur so rücksichtslos in derart persönlichen Dingen herumwühlen, waren meine verzweifelten Gedanken. Penibel begann der Offizier, alles wieder in dem Umschlag zu verstauen, dann sah er mich fragend an, legte dabei seine Hände auf den Umschlag.
    »Geht es hierbei um Ihren Freund?«
    »Ja«, war meine knappe Antwort. »Bitte, geben Sie mir diese Briefe zurück, das ist alles, was mir von ihm geblieben ist, diese Briefe, die drei kleinen Bücher.«
    »Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen etwas wegzunehmen, ich bedaure, dass ich mir einen Einblick verschaffen musste. Es tut mir aufrichtig leid.« Er gab mir den Umschlag zurück und meinte, ich solle ihn wieder sorgfältig in meinen Rucksack packen, was ich dann aufatmend tat.
    »Haben Sie Hunger oder möchten Sie einen Kaffee?«, fragte mich der Franzose spontan.
    »Einen Kaffee würde ich gerne annehmen.« Während der Offizier schrieb, trank ich den köstlichen Kaffee, dabei beobachtete ich, wie er das Geschriebene in meinen Ausweis legte. Dabei erklärte er mir, dass auf dem Weg nach Rheinfelden Wachposten kontrollierten. »Dieses Schreiben gibt Auskunft, dass hier auf der Kommandantur alles geprüft wurde und Sie ohne Hindernisse den Heimweg fortsetzen können.« Damit war ich entlassen.

    So trat ich den Fußmarsch, die letzten 17 Kilometer von Lörrach nach Rheinfelden, an. Mir war das alles noch gar nicht so richtig bewusst, ich setzte mich öfter mal an einen Wiesenrand, zog die Beine an und versuchte, mich an das eine oder andere Ereignis aus meiner Kindheit zu erinnern. Gerne dachte ich an unsere Schulausflüge, die wir zu Fuß, mit Proviant im Rucksack, machten. Die Wissensvermittlung kam dabei nicht zu kurz, während der Rast auf einer Wiese beispielsweise wurden Blumen und Gräser analysiert. Wenn sich ein paar Bienen in unserer Nähe über Blüten hermachten, wurden sie genau beobachtet und man erklärte uns, dass Bienen sich mit einer tanzähnlichen Zeichensprache über Nahrungsquellen verständigten. Diese Pausen, die ich auf meinem Marsch immer wieder einlegte, warum machte ich die eigentlich? Wollte ich damit meine Rückkehr verzögern? Ich hatte auf einmal Angst, aber wovor denn? Ich wusste keine Antwort darauf, hier war nichts ausgebombt, es sah so aus, als hätte der Krieg hier nicht stattgefunden. Einzig die Kontrollstellen, von denen ich bereits zwei passiert hatte, wonach ich nach Überprüfung der Papiere aber ohne weitere Fragen weitergehen konnte, waren anders als früher. Von Nollingen aus, einem Dorf, das zu Rheinfelden gehört, wusste ich, dass es einen Feldweg gab, der direkt in den hinteren Teil der Siedlung führte, wo meine Großeltern wohnten.
    Es gab ihn noch, so konnte ich unser Städtchen umgehen und schlug als Erstes den Weg in die Kaminfeger Straße ein. Auf halber Höhe überholte mich ein Fahrrad. Ich spürte, wie ich von der Seite betrachtet wurde.
    »Mensch, Edith, bist du es? Wo kommst du denn her?«
    »Na, das kann nur von Dresden sein«, meinte ich zu unserer Nachbarin. »Aber an deiner Stelle hätte ich mir das vorher gut überlegt, wo wir hier kaum zu essen haben«, klagte sie.
    »Ach, Frau Köhler, bestimmt ist es hier nicht schlechter als anderswo«, versicherte ich und sagte, ein wenig enttäuscht über ihre abweisende Haltung. »Schön, Sie zu sehen.«
    Sie fuhr weiter, wahrscheinlich wusste meine Mutter in ein paar Minuten, dass ich im Anmarsch war. Etwa 200 Meter weiter, kurz vor unserem Haus, kam mir die jüngere Schwester eines Klassenkameraden mit einem Kinderwagen entgegen, sie wohnte ebenfalls in unserer Straße. Das Mädchen hieß Lieseli. Als sie mich kommen sah, blieb sie stehen und begrüßte mich sehr herzlich. Ich sah in dem Kinderwagen ein vier oder fünf Monate altes Kind schlummernd liegen. Es hatte wunderschönes braunes Haar, das sich vom Haaransatz bis zum Hinterkopf zu einer Rolle kräuselte. »Was ist das für ein hübsches Kind«, sagte ich staunend.
    Lieseli sah mich unsicher an. »Aber weißt du das nicht? Das ist deine Schwester!«
    Ich verstand nichts. Mit dieser Information war ich völlig überfordert und lief schweigend neben dem Kinderwagen her, bis wir zu Hause ankamen.

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