Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
schnell vonstattengehen, um das für heute gesteckte Ziel zu erreichen. Kontrolliert wurde lediglich, ob alle Mitfahrenden aus dem eben angekommenen Transport auch ausgestiegen waren.
Über die Geleise konnte niemand entkommen, überall standen Militärs, die sich die Papiere zeigen ließen und alles kontrollierten. Ganz schnell nur konnte ich mich von den drei Düsseldorfern verabschieden und ihnen alles Gute wünschen, um dann in den Waggon Richtung Offenburg zu klettern.
Hier gab es Stroh zum Sitzen und Platz genug, um sich auch bewegen zu können. Gerade hatte ich es mir in Nähe der Schiebetüre etwas gemütlich gemacht, den Koffer hinter mir verstaut, den Rucksack dicht neben mir, als ich eine Stimme vernahm.
»Hallo, Röthli!« Ich hob den Kopf und glaubte, ein Riese stehe vor mir. Mein Gedächtnis ließ mich bei diesem Anblick völlig im Stich, ich sah in ein unrasiertes Gesicht und überlegte immer noch, doch ohne Ergebnis. »Ich sehe schon, du erkennst mich nicht«, sagte die Stimme wieder, »es ist auch schon eine Weile her, dass wir zusammen in Rheinfelden die Schulbank gedrückt haben. Offenbar haben wir beide einiges hinter uns.« Der Mann sprach mich in Schweizerdeutsch an, das klang in diesem Moment so fremd, so unwirklich für mich.
»Mensch, Martin, wo kommst du jetzt her?«
»Dasselbe wollte ich dich fragen«, lachte Martin und schätzte ab, ob der Platz neben mir ausreichte, um sich zu mir zu setzen. »Bist du damit einverstanden, dass ich meinen Rucksack hole und mich neben dich platziere? Dann meistern wir den Rest der Luxusreise gemeinsam.«
»Ja, ja«, antwortete ich hastig, immer noch ungläubig darüber, was sich hier abspielte. Mit seinem Rucksack kam Martin zurück und setzte sich neben mich.
»Dass du dich noch an ›Röthli‹ erinnerst«, begann ich die Unterhaltung, »ich weiß noch genau, dass ihr Jungs mich so genannt habt, darüber habe ich mich damals sehr geärgert.«
»Wir wussten das doch, deshalb haben wir dir ja auch diesen Namen verpasst. Du trägst uns das doch nicht mehr nach?«
»Nein, bestimmt nicht, aber nenne mich ab jetzt und wann immer wir uns wieder einmal begegnen, einfach Edith, bitte.«
»Verständlich«, brummte Martin nur, dann begann er zu erzählen, dass er nach der Kapitulation gleich in ein Entlassungslager gekommen war, mit Entlassungspapieren und Passierschein ausgestattet wurde und nun nach Hause zu seinen Eltern wolle.
Ich schilderte nur kurz, dass meine Flucht in Radebeul begann und ich seit Ende Mai 1945 unterwegs war, mal hier in einem Lager, mal dort, bis es immer mal wieder ein Stück weiterging. Irgendwie war ich nicht in Stimmung, Martin mehr als gerade nötig zu erzählen. So bemerkten wir beide nicht, dass unsere Weiterfahrt begonnen hatte.
Nach Stunden kamen wir in der Nähe von Freiburg an einem Güterbahnhof an. Wir mussten auf zwei Lastwagen umsteigen und wurden damit zu einer Turnhalle transportiert, um dort zu nächtigen. Beim Zuweisen unseres hoffentlich letzten Nachtquartiers wurden wir darauf hingewiesen, dass es am nächsten Morgen gegen acht Uhr in Richtung Waldshut weiterging.
Das Nennen dieser bekannten Orte klang für mich so gar nicht heimatlich in meinen Ohren und der Gedanke, wie ich meine Angehörigen wohl antreffen würde, machte mich unsicher. Gleichzeitig wurde mir klar, dass mein zukünftiges Leben nicht mehr in Dresden stattfinden konnte, was mir große Schmerzen bereitete. Zu sehr hatte ich daran festgehalten, dass dort mein wirkliches Zuhause war.
Aber das Leben schreibt seine eigene Geschichte, wir sind nur die Statisten, ob wir wollen oder nicht.
Zum Abschluss packte ich den geräucherten Speck aus, Martin gab mir sein Pfadfindermesser, damit konnten wir den harten Speck schneiden. Mein Brot war steinhart, aber Martin hatte Kommissbrot, das er mit mir teilte. Mit Tee wurden wir aus großen Kannen und Pappbechern versorgt, so konnten Martin und ich an diesem Abend den Hunger besiegen und die letzte Nacht einer langen Reise wurde mit einem tiefen Schlaf gesegnet.
Wie angekündigt, standen gegen acht Uhr zwei Transporter mit den Sitzbänken links und rechts für eine Weiterfahrt bereit. Meinen Rucksack hatte ich, wie gewohnt, auf den Rücken geschnallt, den Koffer verstaute ich unter der Sitzbank zwischen den Beinen. Während der Fahrt fiel mir ein, dass ich vor der Weiterfahrt die lange Tuchhose dem Koffer entnommen und dabei vergessen hatte, ihn wieder zu verschließen. Das ist sicher gar nicht so
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