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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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gepackt und noch am selben Abend wurden wir mit Bussen nach Hause gefahren. Großvater war nicht gerade gesprächig, als ich mich zurückmeldete. Die einzige Erinnerung an diesen Moment ist die an meine maßlose Angst. Großvater musste mich trösten, und ich stellte ihm panische Fragen:
    »Meinst du, Opa, der Krieg ist bald wieder vorbei?«
    »Aber, Hansli, er hat doch gerade erst angefangen.«
    »Musst du denn auch in den Krieg ziehen?«
    »Nein, dafür bin ich zu alt.«
    »Gott sei Dank, Großvater!«

    Ab nun begann unser Unterricht täglich mit dem Austausch der neuesten Nachrichten. Viele von uns waren genauestens unterrichtet. Ich las regelmäßig schnell die Zeitung durch, um im Wesentlichen Bescheid zu wissen. Jeden Morgen mussten wir nun auf dem Schulhof vor Schulbeginn antreten, die Flagge hissen und singen. Egal, ob es regnete oder schneite oder die Sonne schien. Es gab von Anbeginn an Lebensmittelkarten. Wir Jugendlichen bekamen Sonderrationen, ebenso werdende Mütter. Meine Großeltern waren froh, dass sie mit dem Obst und Gemüse aus ihrem Garten die ganze Familie versorgen konnten. Die Landwirte durften nur mit Genehmigung schlachten, ein Teil davon musste abgeliefert werden. Wer dennoch schlachtete, wurde wegen Schwarzschlachten bestraft. Einige Lebensmittel waren knapp zugeteilt, besonders Zucker, Butter und Fleisch. Bohnenkaffee gab es nur (über Beziehungen) schwarz, der fehlte meiner Großmutter sehr. In der Schweiz einzukaufen, war natürlich nicht mehr möglich, die Grenzen waren dicht. Auf der Rheinbrücke lagen dicke Rollen mit Stacheldraht, und Militär stand dies- und jenseits der Grenze.

    Gertruds Großvater verlor allen Lebensmut. Er sagte nicht viel, aber man konnte erahnen, dass er verstanden hatte, was dies alles bedeutete. Er konnte seinen Sohn und die Enkel in Bern nicht mehr besuchen, und diese konnten nicht mehr nach Deutschland kommen. Auch Kurt fiel es schwer, seinen Vater, der etwa 70 Jahre alt sein musste, und seine Schwester plötzlich nicht mehr sehen zu können. Wir mussten uns darauf einstellen, dass unser Leben eine ganz andere Richtung einschlug als die, die wir für uns gewählt hatten. Es gab keine Arbeitslosigkeit mehr, jeder wurde an seinen Platz beordert. Das Jungvolk musste in der Landwirtschaft helfen, andere beim Straßenbau. Wer straffällig war, wurde, wenn er Glück hatte, zu Schwerstarbeit herangezogen, wenn er Pech hatte, verschwand er auf Nimmerwiedersehen.
    Jeder bespitzelte jeden. Man lebte in Angst. Gertruds Großvater starb ganz plötzlich. Frau Ganter litt sehr darunter, war er ihr doch immer wie ein Fels in der Brandung gewesen und auch eine finanzielle Hilfe, die sie mit drei Kindern gut gebrauchen konnte. Jetzt hatte sie oft nur die Miete, die sie von meinen Eltern bekam. Alfons brauchte sein verdientes Geld meist für sich. Er ließ das Trinken einfach nicht. Die Familie hatte große Sorgen. Neuerdings klagte Frau Ganter auch über starke Leibschmerzen. Sie bekam um die Augen helle Flecken, die wie kleine Muttermale aussahen. Ihr Bauch wurde auffallend dick, so hörte ich sie eines Tages zur Mutter sagen, als sie im Flur ihr Schwätzchen abhielten:
    »Wenn ich nicht genau wüsste, dass es nicht sein kann, dann könnte man doch glauben, ich bekäme ein Kind.« Sie ermüdete schnell und wirkte oft teilnahmslos. Die Kinder mussten nun den Einkauf erledigen, die große Wäsche am Waschbrett und einen Großteil der Hausarbeit übernahm Frau Ganters Cousine Martha.
    Martha war Schneiderin und konnte damit auch für die Kleidung sorgen. Nebenbei verdiente sie sich mit Nähen für fremde Leute zusätzliches Geld. Gertrud schlief nun bei mir, die Jungs hatten inzwischen das Zimmer ihres Großvaters übernommen, so hatte Cousine Martha ein Zimmer für sich, das sie auch als Nähstube benutzte. Sie war unverheiratet, mittleren Alters, ein wenig schrullig und, wie wir fanden, ganz lustig. Sie war auch sehr um das Wohl von Alfons besorgt, dem aber scheinbar ihre Bemühungen nicht gefielen.
    Ganz überraschend wies man Gertruds Mutter in das Kreiskrankenhaus ein. Wir fuhren sie oft mit dem Fahrrad besuchen, aber scheinbar waren unsere Besuche sehr anstrengend für sie. Sie bat uns Kinder immer, schnell wieder nach Hause zu fahren mit der Begründung, dass man sich sonst um uns Sorgen machen würde. Wir versorgten sie mit frischer Wäsche, buken ihr einen Kuchen. Die Zutaten hatten wir zusammengebettelt. Blumen klauten wir auch schon mal auf der Hinfahrt in

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