Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Praxis mitten in der Stadt, war sehr gefragt, und entsprechend lang waren die Wartezeiten. In einem eigenen Labor wurden nach ihren Rezepten Medikamente erstellt. So kam Oma zu einem Tonic, das tatsächlich ihren Blutzuckerspiegel normalisierte. Selbst für ihre Herzprobleme, weswegen Großmutter lange in Freiburg in einer Klinik lag, hatte die Naturheilerin ein Mittel.
Immer, wenn Großmutter krank war, leistete ich ihr Gesellschaft, las ihr vor oder war der Aufpasser, wenn sie heimlich stickte. Wenn dann jemand in das Zimmer kam, verschwand die Stickerei schnell unter der Bettdecke. Trotzdem war sie immer auf dem Laufenden, auch was meine Schule betraf. Ich erzählte ihr, dass von unseren beiden Klassen drei Schüler im Alter zwischen 12 und 14 Jahren ausgesucht worden waren, die nach Karlsruhe auf ein Lehrerseminar geschickt werden sollten: Robert, Erna und ich. Wobei Robert uns Mädchen sicher noch eine Nasenlänge voraus war, was seine schulischen Leistungen anging.
Erst war ich begeistert darüber, dass ich es in die Auswahl geschafft hatte, und meinte leichthin, dass es mir bestimmt Freude machen werde. Doch kurze Zeit später bekam ich Angst vor der eigenen Courage und hätte am liebsten einen Rückzieher gemacht, was man allerdings in der politischen Lage damals besser vermeiden sollte. Meine Mutter war ebenfalls ganz angetan und meinte dazu:
»Dann wird bestimmt noch etwas aus dir!« Kurt enthielt sich einer Meinung. Er schien mir eher abraten zu wollen. Schon einige Male hatte ich mitbekommen, dass Mutter Kurt abends beim Weggehen ermahnte, er solle aufpassen, dass sie bei ihren Treffen nicht erwischt würden. Was ihnen dann blühe, sei nicht auszudenken.
Von der Schulleitung kam ein Schreiben nach Hause, in dem ein Treffen in der Kreisstadt festgelegt war, wo alle ausgewählten Schüler sich vorstellen sollten. Es sollte an einem Samstag stattfinden. Es kamen Schüler aus dem ganzen Kreis zu diesem Treffen. Beordert waren wir an einen großen öffentlichen Platz. Erst wurde angetreten, dann die Hakenkreuzfahne gehisst, anschließend gesungen, gemeinsam mit dem Jungvolk, das von überallher angetreten war, mit Trommeln und Flöten, um den Gauleiter zu begrüßen. Ich bekam auf einmal große Bedenken, dass es im Lehrerseminar sehr streng zugehen könnte, vor allem erzieherisch. In mir sträubte sich alles. Dass es erst ein Bekanntmachen sei, tröstete mich unheimlich. Die Entscheidung sollte ja erst später fallen. Wir standen nun in Reih und Glied und jeder Schüler wurde einzeln an einen riesengroßen Tisch aufgerufen. Der Kreisleiter, flankiert von zwei SA-Männern, hatte von jedem Schüler eine Akte, die ihm jedes Mal von einem SA-Mann nach dem Aufruf übergeben wurde. Ich war ganz ruhig. Diese für mich ungewohnte innere Gelassenheit hat mir in diesem Fall geholfen. Ich wurde aufgerufen. Nachdem ich beobachtet hatte, dass die anderen Schüler den Gauleiter mit ›Heil Hitler‹ begrüßten, tat ich es ihnen nach und betete im Stillen.
Sag mir deinen Namen!
Edith Ursula Roth, geboren am 28. November 1926.
Wohnort: Rheinfelden
Name deiner Mutter?
Maria Magdalene Schweiger.
Name des Vaters?
Kurt Schweiger.
Wieso denn Schweiger, hier steht doch etwas ganz anderes?
Das ist mein Stiefvater, den leiblichen Vater kenne ich nicht.
Ein Staunen war im Gesicht des Kreisleiters zu erkennen. Während ich in der Reihe stand und diese Ablehnung spürte, ging mir durch den Kopf, dass Kurt ja Kommunist war. Mein leiblicher Vater mit dem Namen Herrmann Brombach hingegen war Parteigenosse.
Man ließ mich wegtreten ohne weitere Fragen, aber ich spürte, dass ich gewonnen hatte. Nach zwei Wochen kam die amtliche Absage und ich musste nicht nach Karlsruhe gehen, was mir in dem Moment schlicht zu fern der Heimat gewesen wäre. Bisher hatte meine Großmutter für mich die Anmeldungen in der Schule und überall dort, wo die Personalien angegeben werden mussten, erledigt. Sie wollte mir sicher damit ersparen, antworten zu müssen, wenn es um meinen Vater ging. Was wusste ich überhaupt von ihm? Wo war er eigentlich? Vor einiger Zeit hörte ich zufällig Oma zu Großvater sagen, dass er per Überweisung aus Hamburg Geld für mich geschickt hatte. Mir persönlich schrieb er nie. Aber meine Großeltern waren scheinbar über alles im Bilde.
Gertrud hatte auch große Sorgen mit ihrem Vater: Alfons war ein Trinker. Freitags, wenn Zahltag war (die Firmen zahlten immer bar, das Geld war zusammen mit der Abrechnung in
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