Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
einer sogenannten Lohntüte), fand er nie den Heimweg. Nicht allzu weit von Ganters Haus gab es das Wirtshaus ›Der Wasserturm‹. Gertruds Bruder Bruno wurde dann immer beauftragt, das Fahrrad ihres Vaters dort abzuholen, damit er zu Fuß nach Hause gehen musste. Es gab oft fürchterliche Szenen, wenn er betrunken heimkam. Oft ließ ihn Frau Ganter nicht ins Haus, dann musste er im Holzschuppen seinen Rausch ausschlafen. Es war ja genug Heu für die Kaninchen und die eine Ziege vorhanden, so dass er passabel darauf schlafen konnte. Da er meist noch in den höchsten Tönen sang, ehe er endlich Ruhe gab, blieb es auch den Nachbarn nicht verborgen.
Das Haus konnte man von zwei Seiten erreichen, Kaminfegerstraße war die eigentliche Adresse. Zu befahren mit Autos und Verkaufswagen, die Milch, Brot und vieles mehr anboten. Von der Rückseite führte von jedem Haus eine eigene kleine Brücke über den Dürrenbach zu dem ›Schwarzen Weg‹. Dieser hatte seinen Namen von dem schwarzen Schlackebelag und war genau einen Kilometer lang. Er führte in eine Richtung in unser Städtchen, der längere Teil führte vorbei an der Siedlung bis zur Landstraße in Richtung Säckingen. Der Weg war auf der Häuserseite mit Kirschbäumen bepflanzt, auf der anderen Seite in der gesamten Länge mit Kastanienbäumen. Die Kronen der Bäume vereinten sich mit den Jahren, so konnte man wie unter einem wunderschönen Dach laufen. Wenn die Kastanienbäume blühten und sich mit den Kirschbäumen ablösten, war es immer ein wundervoller Anblick. Oftmals führte der Dürrenbach Wasser, besonders bei starkem Regen. Alle 200 Meter stand eine Bank für die Spaziergänger, die gerne den schönen Anblick genossen. Wir Kinder hatten großen Spaß. Manchmal holten wir uns mit einer Harke von dem Kastanienbaum über dem Bach einen großen Ast und ließen uns damit über den Bach schleudern, mit viel Gelächter und ganz ohne Bedenken. Oft kam ich mit aufgeschlagenen Knien nach Hause, meist aber verbarg ich solche kleinen Blessuren. Einmal konnte selbst Großmutters Salbe nicht helfen und ich musste zum Arzt. Mutter meinte oft, ich sei gar kein Mädchen, schlimmer könnte kein Junge sein, außerdem sei ich immer genauso schmutzig wie diese. Andere Mädchen seien dagegen immer sauber und adrett. Das war mir egal, ich war einfach – trotz allem – ein glückliches Kind. Mit meinen vier Puppen spielte ich gerne. Ich hatte eine große Puppe mit einem Kopf aus Porzellan und echtem, hellem Haar, die beim Hinlegen die Augen schließen konnte. Auf diese musste ich ganz besonders aufpassen, sie durfte auf keinen Fall hinfallen, sonst konnte der Porzellankopf in die Brüche gehen. Also blieb sie meist auf dem Sofa sitzen. Mein kleinstes Püppchen lag viel in einem Holzbettchen, das Seppels Vater mir schreinerte und einmal zu Weihnachten geschenkt hatte. Großmutter nähte dafür ein Kopfkissen und eine Decke. Am liebsten spielte ich mit den Zwillingen, zwei identischen Puppen aus Zelluloid. Die Haare waren in rötlichen Wellen angedeutet, sie hatten grüne Augen, machten einfach alles mit, und wie ich glaubte, machte ihnen sogar das Baden Spaß. Mit zehn Jahren konnte ich schon gut stricken. Meinen Zwillingen, Martin und Manuela genannt, strickte ich Kleider. Manuela bekam ein Kleidchen in Rosa, Martin in Blau eine kurze Hose und einen weißen Pullover. Tante Hilda half mir immer mit guten Ratschlägen. Sie selbst strickte am laufenden Band für Onkel Hans, sich selbst und uns Kinder.
Oft verreiste ich mit meinen Zwillingen. Für die Puppen hatte ich einen kleinen Puppenkoffer, von Großmutter nahm ich eine Einkaufstasche mit Reiseproviant für mich mit. Der schwarze Weg war oft meine Anlaufstelle. Dort setzte ich mich auf eine Bank, meine Zwillinge daneben. So saßen wir dann gemütlich in einem Zug und fuhren los. Oft entschied ich mich für das Umsteigen, wenn sich jemand zu uns setzte, dann wurde die Reise auf Großmutters Sofa fortgesetzt, ich musste dann aber eine Fahrkarte erster Klasse nachlösen.
Sehr schön war es im Rosengartenhaus, da störte uns niemand. Ich las den Zwillingen aus einem Märchenbuch vor oder wir planten eine neue Reise an den Bodensee und irgendwann einmal nach Berlin.
Aber fast täglich gab es in unser aller Leben dunkle Wolken. Es war an einem Sonntagmorgen gegen acht Uhr, als eine schwarze Limousine in der Kaminfegerstraße 14 vorfuhr. Zwei Männer, bekleidet mit Ledermänteln und Schlapphüten, stiegen aus und klingelten bei
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