Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
gespannt waren, luden wir im Wald die Stämme auf. Zwei ältere alleinstehende Schwestern, die im Haus eine kleine Wohnung gemietet hatten, halfen mit. Auf der Rückfahrt stellte ich mich hinten auf das Gefährt, die Füße zwischen den Sprossen. Die ganze Zeit dachte ich daran, dass wir nicht zu spät zurückkommen durften, ich wollte doch unbedingt den Zug erreichen. Wir Mädchen hatten einen langen Fußmarsch bis zum nächsten Bahnhof, eine Stunde Bahnfahrt, dann noch einmal einen längeren Fußmarsch nach Hause. Am Bahnhof wurden wir dann aber meist abgeholt. Kurt, das muss ich ihm zugutehalten, holte mich immer mit dem Fahrrad ab. Oft saß ich auf der Stange, es war ein Herrenfahrrad, aber das war ein hartes Sitzen. Wenn es nicht viel Gepäck gab, saß ich auf dem Gepäckträger. Auto, Telefon? Wer hatte das schon?
Der Hof war in Sicht, noch etwa zehn Minuten bis dahin. Die Nähe zum Stall ließ auch die Kühe schneller laufen.
Wir wollten das Holz in die Scheune fahren, notfalls konnte es über Sonntag auf dem Wagen bleiben. Die Bäuerin lief ein Stück voraus, um das Scheunentor zu öffnen, damit die Kühe die kleine Anhöhe von der Straße in die Scheune ohne Anhalten überwinden konnten. Was ich nicht beachtet hatte, war die große Axt, die rechts neben mir an den Streben hing. Die Klinge war ca. 20-25 cm breit. Kurz vor der Anhöhe trieb der Bauer die Kühe an, es gab einen Ruck, die Axt kam ins Schwingen und streifte mich nur kurz am rechten Bein, oberhalb des Knöchels. Ich bemerkte es erst, als ich vom Wagen herunter hüpfen wollte und das Blut sah.
»Oh Gott, mein Bein!«, wimmerte ich. Keiner reagierte, erst, als ich auf einem Bein in das Haus hüpfte, wurden die anderen darauf aufmerksam. Blut konnte ich noch nie sehen, schon gar keine Wunden. Auf einem Stuhl sitzend, fand man mich in der Küche. Aus der Traum vom Nachhausefahren und Muttertag feiern. Eine der älteren Frauen wurde beauftragt, zum nächsten Hof zu gehen, um Irmgard zu bitten, meinen Großeltern die Nachricht zu überbringen. Sie wohnte ebenfalls in der Siedlung, und so wurde schließlich meine ganz Familie über mein Missgeschick informiert.
Die Bäuerin versorgte nun meine Wunde: es war ein neun Zentimeter langer Schnitt und sehr tief, so stellte unser Arzt eine Woche später fest. Sie hätte an Ort und Stelle genäht werden müssen. Stattdessen durfte ich nur Feierabend machen. An dem Sonntag wurde ich geschont, neu verbunden und mein Bein wurde hochgelagert, weil es anschwoll. Montag früh stellte die Hausfrau einen Schemel neben den Kochherd, damit ich mit meinem Bein darauf knien konnte, und ließ mich braune Suppe kochen. Die Schmerzen waren zwar erträglich, aber am Verband merkte ich, dass die Wunde nicht in Ordnung war. Verschont blieb ich von Stall- und Feldarbeiten, das Schweinemisten hätte ja Zeit, bis das Bein besser sei. Dafür aber war Hausarbeit angesagt. So schleppte ich mich eine ganze Woche über die Runden. Irmgard kam mich besuchen und brachte mir von meinen Eltern Post mit. Beim Anblick des durchgebluteten Verbandes war sie sehr erschrocken und außerdem war sie entsetzt darüber, dass man mich dauernd zur Arbeit einsetzte. Am darauffolgenden Montag gegen Mittag, also eine Woche nach dem Unfall, standen Kurt und Gertruds Vater vor der Tür. Es gab keine lange Diskussion, Kurt packte meine Sachen, Alfons nahm sie auf seinen Gepäckträger und mich verfrachteten sie auf Kurts Gepäckträger. So brachten sie mich zur Bahnstation, Kurt löste meine Fahrkarte und setzte mich in den Zug. Unterdessen war Alfons schon eine Weile mit seinem Fahrrad auf dem Rückweg und konnte mich zu Hause am Bahnhof in Empfang nehmen.
Meine Großmutter ging am anderen Morgen mit mir zu unserem Hausarzt. Dieser ärgerte sich über die Nachlässigkeit, dass mein Bein nicht von einem Arzt behandelt worden war. Nähen, so sagte er, könne man nicht mehr, es werde eine breite Narbe bleiben, aber wir müssten aufpassen, dass es nicht schlimmer würde. Das Bein musste ich hochlegen, nur das Nötigste sollte ich stehend erledigen. Täglich musste es neu verbunden werden, und dazu kam der Arzt ins Haus. Dieser Spaß dauerte sechs Wochen. In diesen Wochen kämpfte Frau Ganter um ihr Leben. Sie aß kaum noch, lag meist mit geschlossenen Augen im Bett. Gertrud und Cousine Martha pflegten sie abwechselnd rund um die Uhr. Eine Gemeindeschwester kam zum Waschen und Bettenmachen und unterstützte die Familie auch moralisch. Alfons war allerdings
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