Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
sehr schwierig wäre. Untergewichtig war eher Frau Weiler, sie wog gerade einmal 48 kg, war aber immerhin 165 cm groß. Bei Herrn Weiler konnte man von Untergewicht nichts erkennen, das behielt ich aber lieber für mich.
Hedy traute wohl den Schilderungen von Frau Weiler nicht und versuchte durch vorsichtige Fragen, sich ein Bild von der tatsächlichen Situation zu machen. Ich verhielt mich neutral, freute mich aber immer, wenn sie am Gartentor stand und etwas für Helmut und mich bereitgestellt hatte. Helmut wurde angewiesen, nichts darüber zu erzählen, wenn wir bei Deschers eine Pause machten. Wie lange das verborgen bleiben konnte, war nicht absehbar. Als wir, Helmut und ich, einmal mit Verspätung heimkamen, wollte Frau Weiler sofort wissen, wo wir uns aufgehalten hatten. Dummerweise hatte ich, wie sie meinte, noch einen Fettrand um den Mund, und Helmut sah man auch an, dass er etwas gegessen hatte. Es war nicht zu umgehen, ich sagte Frau Weiler, dass Frau Descher am Gartentor gestanden hätte, als wir kamen, und uns einlud, eine Tasse Hühnerbrühe zu trinken. Ziemlich barsch reagierte Frau Weiler und meinte, es sei ihr nun klar, weshalb sie bei Deschers keinen Erfolg mehr hätte, aber ich glaube, es gab da noch einen anderen Grund.
Am vorherigen Sonntag war ich mit Helga nach Dresden gefahren, wir wollten bummeln und eventuell in ein Kino gehen. Zuvor aber hatte Frau Weiler mit Helgas Mutter gesprochen, ehe sie ihre Einwilligung gab. Sie wollte die Familie Brühl kennenlernen, um abzuschätzen, ob es der richtige Umgang für mich sei.
Für mich bedeutete es Hektik, wenn wir den 14.00 Uhr Zug nehmen wollten. Der große Abwasch, es gab ja keine Spülmaschinen, und das späte Mittagessen trugen dazu bei. Hilfe bekam ich nie.
Große Sorgen machten mir meine Hände, sie wurden rissig und sahen aus, als würde ich mit Kohlen handeln. Kosmetik gab es kaum, Geld dafür hätte ich eh nicht gehabt. Mutter schickte mir in einem Päckchen Handcreme und riet mir, nachts Baumwollhandschuhe überzuziehen, damit die Creme einwirken konnte. Es half aber alles nichts. So fing ich an, überall, wo es möglich war, meine Hände zu verstecken. Mein Vater, er war inzwischen einverstanden, dass ich in Niederau gelandet war, schickte mir oft in einem Brief etwas Geld, auch Mutter unterstützte mich finanziell im Rahmen ihrer Möglichkeiten. So konnte ich die Bahnfahrten nach Dresden, mal ein Kino oder einen Kaffee finanzieren. Die Familie half mir in mancherlei Beziehung:
Oma schickte Äpfel und nähte mir nach wie vor mal ein Kleid oder einen Mantel. Frau Weiler nahm Maß, das ich weitergab. Tante Hilda strickte mir aus Wollresten eine warme Jacke, schickte sie mit einem lieben Gruß im Päckchen und mit der Mitteilung, wenn sie Onkel Heiner, der nach Berlin versetzt worden war, besuchen werde, dann wolle sie auf alle Fälle die Fahrt unterbrechen und mich besuchen. Ich berichtete meinen Großeltern und Tanten immer, dass es mir gut ginge, erzählte, was ich alles erlebte und wie toll Dresden sei.
Nicht ganz so toll hingegen war der Ausflug an besagtem Sonntag mit Helga. Unterwegs verkündete sie mir, dass sie mit mir zum Tanz gehen wolle. Dieser fand immer sonntags statt, wenn die Soldaten ihren Freigang aus dem Lazarett hatten. Nun war uns in der Schule auch nahegelegt worden, dass wir den Frontsoldaten öfters eine Freude machen sollten, indem wir ihnen schrieben oder ab und zu auch ein Feldpostpäckchen schickten. Wir bekamen Namen und Feldpostnummern und wurden oft befragt, ob wir uns dankbar zeigten dafür, dass sie auch für uns in den Krieg zogen.
Aber dieser Sonntagnachmittag konnte mich nicht besonders begeistern. Helga wurde zu jedem Tanz aufgefordert, und wie ich feststellte, war es fast immer derselbe Tänzer. Ich konnte nicht tanzen, war nur Zuschauerin, die ihre Hände beschämt unter dem Tisch versteckte, als zwei Soldaten an unserem Tisch vorbeikamen.
Der eine blieb plötzlich stehen, sah mich von der Seite an.
»Na, Kleine, bist du nicht zu früh hier? Komm doch einfach in ein paar Jahren wieder.« Ich begriff nicht, was er damit sagen wollte, konnte ich nicht einfach hier sitzen und zuschauen? Ich fühlte mich so unsicher und fehl am Platze. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht hier sein sollte.
Es waren bestimmt zwei Stunden vergangen, als die Musik Pause machte. Helga kam mit ihrem Tänzer an unseren Tisch zurück.
»Na«, meinte ihr Begleiter, »findet sich kein Tänzer für dich?«
»Tanzen
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