Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
das Schieben des Sportwagens ab, damit ich mich voller Staunen in das Menschengewühl einordnen konnte. Wie oft ich stehen blieb vor lauter Begeisterung und dabei vergaß, den Mund zu schließen, weiß ich nicht. Einmal sagte ich zu Frau Weiler ziemlich laut, sie möchte doch einmal die Dame vor uns ansehen, die hätte ja rosarote Haare. Natürlich wies sie mich zurecht und ermahnte mich, mich bei meinen Äußerungen in der Lautstärke zu mäßigen. Ich versprach es und war in der Folge eisern bemüht, meine Beobachtungen für mich zu behalten. Unser Ausflug wurde am Elbufer beendet. Nachdem ich diesen herrlichen Anblick ganz aufgenommen hatte, versprach ich mir selbst ganz fest, dass ich noch öfter nach Dresden fahren wollte. Wir stiegen in eine Straßenbahn und fuhren etwas nach außerhalb, um Frau Weilers alter Tante einen Besuch abzustatten. Dabei hielten wir uns viel länger auf, als es eigentlich geplant war. An einem nett gedeckten Tisch tranken wir Malzkaffee, und es gab Kuchen, der nach einem Sparrezept mit Gries statt Mehl gebacken war. Aber er schmeckte sehr gut. Tante Amelie, so sollte ich Frau Weilers Tante nennen, schrieb mir das Rezept auf, damit ich den Kuchen nachbacken konnte. Wir versprachen, bald einmal wiederzukommen, und fuhren zurück nach Niederau. Helmut wurde sehr unleidlich und musste laufend daran erinnert werden, dass er sich anständig benehmen sollte. Es war für ihn sicher sehr anstrengend, für mich aber ein wundervoller Nachmittag, der mir wieder die Welt in einem viel schöneren Glanz zeigte. Den Weg vom Bahnhof zur Elbe hatte ich mir genau eingeprägt. So könnte ich doch an einem freien Nachmittag auch mal alleine in die Stadt fahren, meinte ich eines Tages zu Frau Weiler. Aber da bekam ich keine Unterstützung. Es hieß, einfach auf eine andere Gelegenheit zu warten.
Mein Schulbeginn in Meißen verlief erfreulich, mit gemischten Gefühlen wurde ich das erste Mal begleitet. Frau Weiler übergab mich der zuständigen Lehrerin und fuhr mit dem Bus wieder zurück. Von den neuen Klassenkameradinnen wurde ich gleich akzeptiert und in den Pausen mit Fragen bombardiert. Sie boten an, mir Meißen zu zeigen, sie wussten, wo es auf Märkten guten Kuchen gab. Ich bekam sogar angeboten, mit nach Hause zu kommen, um gemeinsam Schulaufgaben zu machen. Es beeindruckte sie alle sehr, dass ich den Mut hatte, so weit weg von zu Hause zu gehen, ohne Angehörige in der Nähe, und das in Kriegszeiten.
Die Aufmerksamkeit mir gegenüber gab mir viel Ansporn, sicher aber auch, dass ich unter gleichaltrigen Mädchen sein konnte. Unter den Schülerinnen war auch eine 18-Jährige, sie war gut einen Kopf größer als ich und wirkte sehr erwachsen. Es stellte sich heraus, dass sie auch in Niederau wohnte, sogar in der Nähe des Bahnhofes. So fuhren wir dann gemeinsam mit dem Bus zur Schule und wieder zurück. Plötzlich fühlte ich mich nicht mehr so verlassen und ich freundete mich schnell mit der 18-jährigen Helga an. Sie wollte auch ab und an nach Dresden fahren, meinte sie, einen schönen Film ansehen oder in den Zirkus Sarasani gehen. Aber ich machte ihr klar, dass ich nur Filme besuchen durfte, die für Jugendliche zugelassen waren. Helga meinte, das würde doch keiner kontrollieren, aber ich gab ihr zu verstehen, dass, wenn doch, ich bestimmt Schwierigkeiten bekäme. Für solch einen Ausflug musste ich alles mit Frau Weiler besprechen und ihr Einverständnis haben, aber ich sah doch die Möglichkeit, so ab und zu in die Stadt zu kommen. Zunächst gab ich nur Auskunft über die Schule, dass sie alle sehr nett seien und ich von der einen oder anderen Mitschülerin eingeladen wurde. Frau Weiler meinte, dass sie die Schulaufgaben überwachen müsse, das gehöre schließlich zu ihrer Aufgabe, sie betonte auch, dass sie Wert darauf lege, dass ich nach Schulschluss den nächsten Bus zu nehmen hätte, um nach Hause zu kommen. Es gebe ja noch einiges zu tun, und Helmut müsse auch noch versorgt werden. Sie selbst hätte dafür zu sorgen, dass genug Essen im Hause sei, und das nehme viel Zeit in Anspruch.
Hamstern und Tauschgeschäfte waren an der Tagesordnung. Frau Weiler hatte dafür ein besonderes Talent. Als Erstes studierte sie am Morgen die Dresdner Zeitung, vor allem die Anzeigen in der Rubrik ›Tausche‹, dann machte sie sich Notizen, was für sie infrage kam, packte eine große Tasche mit Artikeln, die gesucht wurden und dafür das boten, was unser Haushalt benötigte. Zweimal die Woche fuhr sie
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