Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
wiederum schrieb mir, dass seine Eltern in Thüringen einen metallverarbeitenden Betrieb hatten, den er nach Beendigung seines Studiums übernehmen wolle. Seine Schwester sei bereits mit einem Berufsoffizier verheiratet und lebte in Berlin. Briefe schrieb ich immer gerne, aber dieser Briefwechsel machte besonders viel Spaß.
An den Wochentagen, an denen Frau Weiler unterwegs war, nutzten wir, Helmut und ich, die Möglichkeit, uns auf dem Heimweg vom Kindergarten bei Max und Hedy Descher länger aufzuhalten. Hedy hatte immer für uns etwas bereitgestellt, somit waren wir für den Rest des Tages mit Essen versorgt. Wir fühlten uns wie zu Hause, Hedy und Max mochten uns beide. Am Sonntag fuhren Helmut und ich mit in die Klinik, der Sportwagen diente dabei als Lastenträger. Helmut jammerte sehr darüber, aber es half nichts. Es war ein anstrengender Fußmarsch von der Bahn in die an einem Waldrand gelegene Klinik. Eine sehr ruhige Anlage war genau das Richtige für die Patienten, die aufstehen konnten oder in einem Rollstuhl saßen. Sie konnten das parkähnliche Gelände und diese Ruhe besonders genießen. Rot-Kreuz-Schwestern pflegten die Kranken, waren sehr aufmerksam und immer zur Stelle, wenn nötig. Helmut nahm von seinem Vater nicht viel Notiz, viel mehr reizte ihn die neue Umgebung. Dass sein Vater krank im Bett lag, konnte er noch nicht begreifen. Seine Fragen wurden Frau Weiler lästig, und sie schickte uns in den Park.
In der kurzen Zeit, die ich im Krankenzimmer verbrachte, fiel mir auf, dass die Krankenschwester, die für dieses Zimmer verantwortlich war, sehr oft hereinkam und Frau Weiler und mich sichtlich in Augenschein nahm. Zu oft, so fand ich, stellte sie an Helmuts Vater die Frage, ob er etwas benötige. Herr Weiler lächelte sie sehr freundlich an und meinte, dass sich Schwester Irma später noch genug um ihn kümmern müsste. Auf dem Heimweg klagte Frau Weiler, dass sie Vatilein (gemeint war ihr Mann) sehr vermisse. Sie seien doch so glücklich miteinander gewesen, es sei für sie sehr schwer, getrennt von ihm zu sein. Als ich ihr zu verstehen gab, dass in diesen Zeiten viele Familien getrennt seien, viele junge Mütter schon den Vater ihrer Kinder verloren hatten, viele Frontsoldaten, schwer verwundet und fern der Heimat in einem Lazarett liegend, nicht einmal Besuch von ihren Angehörigen erwarten konnten, glaubte ich, sie getröstet zu haben. Sie sagte spontan:
»Du hast ja recht, Kindchen. Ich will versuchen, dies alles zu verstehen.« Den ganzen Heimweg war Frau Weiler, Else – so werde ich sie nun nennen-, sehr schweigsam und, wie mir schien, nach wie vor traurig. Dabei wurde mir zu meinem Schrecken bewusst, dass ich nun auch noch auf sie aufpassen musste.
Ausflüge nach Dresden mussten zunächst für mich ausfallen, solange Herr Weiler – ich nenne ihn ab jetzt Bruno - im Krankenhaus lag. Helga meinte so leichthin, dass sie eben allein fahren werde, sie wolle sich auf alle Fälle mit ihrem Tanzpartner treffen, solange er noch in Dresden sei. Allerdings konnte sie mich nicht mehr vorschieben, ihre Mutter brauchte nur aus dem Fenster zu schauen, um den Bahnsteig zu überblicken. In ein Kino konnte ich auch, wenn es wieder möglich sein sollte, alleine gehen. Die Programme standen in der Zeitung mit dem Vermerk, ob sie für Jugendliche zugelassen waren oder der Eintritt erst ab 16 Jahren gestattet war. An einem Dienstagnachmittag, Else war zu Besuch in der Klinik, klingelte das Telefon am Gartentor. Als ich mich meldete, sagte die Stimme am anderen Ende: »Ja, hier ist dein Vater.« Mein Herz stockte, ich war so unsicher, dass ich die dümmste Frage stellte, die es gab:
»Vater, wo kommst du denn her?« Ich holte ihn am Gartentor ab. Nach einer herzlichen Umarmung ging ich mit ihm ins Haus. Zunächst musste ich ihm erklären, weshalb Helmut und ich alleine waren, bei einem Kaffee versuchte ich vorsichtig, meine Bedenken zu äußern und ihm zu erklären, dass ich ihm keinen längeren Aufenthalt ohne Absprache mit Else gewähren könne. Für Vater war das vollkommen verständlich. Er sagte mir, dass er die ganze Nacht unterwegs gewesen sei, aber sich auf alle Fälle davon überzeugen wollte, ob es mir auch gut gehe in der Fremde. Er müsse sich nun aber informieren, wie er von hier wieder nach Hamburg komme, da er die Fahrt meinetwegen unterbrochen habe. In meinem Kopf war ein einziges Chaos. Wie sollte ich das nur wieder auf die Reihe bringen?
Mein Vorschlag war, da es noch früh am
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