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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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für mich beinahe traumatisch. Vater erklärte mir auf meine Frage, weshalb die Gebäude so verteilt seien, dass dies nötig sei für den Fall eines Brandes oder einer Explosion, damit eben nur ein Teil der Anlage davon betroffen wäre.
    Vor dem Haus war alles grün: ein schön angelegter Garten mit einem Enten- und Putenhaus. Die Tiere liefen tagsüber frei herum. Einer der Truthähne hatte es auf mich abgesehen: jedes Mal, wenn er mich sah, verfolgte er mich. Wenn er mich erwischte, pickte er mich in die Beine, und ich hatte alle Hände voll zu tun, ihn abzuwimmeln. Es waren Vaters Tiere. Er fütterte sie selbst und hielt für sie alles in Ordnung. Meinen Halbbruder Walther bekam ich erst kurz vor meiner Abreise zu sehen. Er war bei seiner Patentante Lisa in Harburg gewesen, die auch gleichzeitig die Sekretärin meines Vaters war. Wir, Vater und ich, besuchten sie an einem Nachmittag, damit ich Walther kennenlernen konnte. Vater nahm meine Bitte, meinen Aufenthalt auf eine Woche zu verkürzen, zur Kenntnis. Er stellte keine Fragen, es war auch schwer, seine Reaktion zu erkennen. An diesem Abend kam er gegen 20 Uhr nach Hause. Helga und ich spielten gemeinsam Klavier, als er in unser Zimmer trat. Er setzte sich einen Moment lang hin, hörte uns zu und meinte, dass es schade sei, uns nicht öfter zusammen zu sehen. Er gab jeder von uns ein kleines Päckchen, außen in Zeitungspapier verpackt, danach in Pergamentpapier. Der Inhalt war eine geräucherte Flunder. Er legte den Zeigefinger an den Mund:
    »Schweigen ist Gold.« Nachdem Vater mit einem verschmitzten Lächeln gegangen war, machten Helga und ich uns über die Flundern her und genossen den herrlichen Fisch. Schnell lüfteten wir danach das Zimmer, Helga verpackte die Überreste sorgfältig und brachte sie in die Mülltonne. Ohne Helga wäre der Aufenthalt bei Vater kaum erträglich gewesen. Wir beide hatten zusammen viel Spaß und sehr viel zu erzählen. Was sie einmal beruflich machen wollte, wusste sie noch nicht. Sie meinte, es würde sich rechtzeitig zeigen. Zumindest Fremdsprachen machten ihr Freude.
    Meine Rückreise wurde für kommenden Mittwoch festgelegt. Am Wochenende davor stand noch einmal ein Besuch bei Lisa auf dem Programm, damit ich mich von Walther verabschieden konnte. Helga wollte mitfahren, aber Marie hatte, wie sie sagte, einiges nachzuholen. Dafür sei der Sonntag geeignet und sie könne so in Ruhe alles erledigen. So fuhren wir mit dem Auto zu dritt zu Lisa und deren Ehemann Martin Steiner.
    Ihr Mann war etwas zurückhaltend, aber freundlich und erkundigte sich, wie die Bahnfahrt gewesen sei, wünschte mir eine bessere Rückreise und lud mich herzlich ein, das nächste Mal, wenn ich wieder zu Besuch käme, vorbeizuschauen, da ich ihnen willkommen sei. Lisa war, wie ich meinte, befangen oder verlegen, was war es wohl? Es gab erst viel später eine Erklärung dafür. Vater besprach mit Lisa, dass sie mich an dem kommenden Mittwoch nach Hamburg bringen und in den Zug setzen sollte. Er bat sie, für mich eine Rückfahrtkarte erster Klasse zu lösen, damit ich hoffentlich einen Sitzplatz bekäme und auch von den Militärs nicht belästigt würde. Schließlich nahm Lisa noch Maß von mir, denn Vater wollte für den kommenden Winter einen Mantel für mich nähen lassen. Einen Stoff, so meinte er, könne ich aber nicht aussuchen. Er müsse nehmen, was er gerade organisieren könne, aber er würde sicher etwas Passendes für mich finden. Als wir uns verabschiedeten, meinte der kleine Walther, dass er mich bestimmt auch einmal besuchen würde, wenn er erst einmal größer wäre. Auf Lisas Frage, warum ich schon wieder abreiste, sagte ich ihr, dass meine Mutter mich kommende Woche besuchen wolle. Ich wollte mein Zimmer noch zurechtmachen, weil sie darin schlief, während ich bei Helmut auf dem Sofa schlafen würde. So hätte ich noch einiges vorzubereiten, damit auch alles in Ordnung wäre. Mir fiel auf, dass Lisa meinen Vater beobachtete, der nach meiner Erklärung sehr schweigsam wurde. Für mich war es einfach wichtig, dass meine verfrühte Abreise durch diese Argumente glaubhaft wurde. Warum ließ Vater von Lisa meine Maße nehmen? Dies und Maries Verhalten machten mir wieder einmal klar, dass ich eigentlich nirgends mehr zu Hause war. Hier eine Stiefmutter, eine Halbschwester und einen Halbbruder, die ich so gern öfter gesehen hätte. Am anderen Ende, weit weg, meine Mutter mit Stiefvater Kurt und meine Großeltern, die mich liebten. Mein

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