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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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Zuhause dort ging mir verloren durch die angeheirateten Schwiegersöhne in Uniform. Um das zu verstehen, brauchte ich nicht ganz erwachsen oder volljährig zu sein. Sie waren der Meinung, dass ich nun zu meiner Mutter gehörte, die ja verheiratet war, sie hätte jetzt für mich zu sorgen, kurzum: mein Zuhause sei bei ihr. Aber ich liebte meine Großeltern über alles, nur da war ich zu Hause. Aber es gab für mich auch in Dresden ein Zuhause, ich spürte es, auch wenn es bei Familie Weiler nicht von großer Dauer war. Eines war zumindest sicher: ich durfte danach mit Vaters Hilfe hierbleiben. Dann könnte ich meine Großeltern auch aus der Ferne lieben, ich würde versuchen zu verstehen, zu vergessen, und vielleicht fände auch meine Seele Frieden.

    Auf der Rückreise ließ ich noch einmal den Aufenthalt bei Vater Revue passieren. Sein plötzliches Verstummen, immer dann, wenn ich von meiner Mutter sprach, gab mir zu denken. Er litt sichtbar, und vielleicht war dies auch der Grund für Maries ablehnendes Verhalten. Besonders abweisend reagierte sie, als Vater einmal beim Abendessen bemerkte, dass ich meiner Mutter sehr ähnlich sei. Am Abend vor der Abreise, wir waren alleine in der Küche, nahm er mich besonders heftig in den Arm und erklärte mir, es wäre schon früh am nächsten Morgen nötig, dass er das Beladen zweier Lastwagen überwachte, die gegen Mittag mit einer wichtigen Ladung in Neumünster sein müssten. Lisa würde mich rechtzeitig mit dem Auto abholen und nach Hamburg zum Bahnhof bringen. In einem Umschlag übergab er mir Geld, genug für die nächsten Wochen, und eine extra Zugabe, damit Mutter und ich uns ein paar schöne Tage machen konnten. Mit der großen Bitte, den Umschlag zu verstecken und Mutter ganz lieb zu grüßen, nahm er mich nochmals in den Arm, verabschiedete sich von mir und ließ mich dann alleine. Helga las noch in ihrem Zimmer und Marie war in der ersten Haushälfte bei der Dame des Hauses, mit der sie gut befreundet war. Scheinbar ging sie mir an diesem Abend besonders aus dem Weg. Helga und ich plauderten noch lange, bis wir Vater und Marie nach Hause kommen hörten. Wir beide bedauerten es, dass wir uns nicht so oft sehen konnten, dafür war die Entfernung zu groß. Hinzu kam das, was wir beide nicht aussprachen, aber fühlten: Helgas Mutter war von mir oder meiner Anwesenheit verständlicherweise nicht gerade begeistert. Auch das wurde mir während meines Aufenthaltes klar. Aber hatte ich nicht auch ein Anrecht auf meinen Vater? Am wenigsten konnte ich etwas dafür, dass Mutter und Vater nicht geheiratet hatten oder es damals nicht durften. Wie auch immer: er war nun mal mein Vater und ich hatte mich daran gewöhnt, dass es ihn gab. Es vermittelte mir eine gewisse Sicherheit, sagen zu können, ich habe auch einen Vater, er ist für mich da. Er liebte mich auf seine Art und versicherte mir, dass er mir zur Seite stehen würde, wenn ich etwas brauchte, was immer es auch sei. Solche Gedanken beschäftigten mich auf der Rückreise.
    Lisa stieg mit in den Zug ein und besorgte mir sogar einen Fensterplatz, so konnte ich während der Fahrt meine Gedanken kreisen lassen und mich gespannt darauf einstellen, was mich in Niederau bei meiner Ankunft erwartete. Als wir uns verabschiedeten, sagte Lisa zu mir, dass sie bei meinem nächsten Besuch alles vorher organisieren würde. Wenn ich es wollte, könnte ich bei ihr wohnen, so hätte ich Vater für mich alleine, sie würde sich um alles kümmern. Ihre Ehe war kinderlos, sie verwöhnte Walther, meinen Halbruder, sehr. Und wie ich bald feststellen konnte, waren auch meine Wünsche und Bedürfnisse bei ihr in guten Händen. Außerdem sagte sie, wenn Vater nicht so häufig die Gelegenheit hätte zu schreiben oder sich um das Finanzielle selbst zu kümmern, würde sie es an seiner Stelle übernehmen.
    War es das, was ich wollte? All die Gründe konnte ich noch nicht so erkennen. Dass Vater mehr in der Firma war als bei der Familie, oder gar unterwegs war, um einen Transport zu begleiten, war mir nicht entgangen. Dass er mit Lisa beruflich mehr zusammen war als mit Frau und Kindern daheim, war wohl bedingt dadurch, dass die Rüstung auf Hochtouren lief. Alle und jeder wurden eingesetzt, jeder musste seinen Teil dazu beitragen, getreu dem Motto: ›Räder müssen rollen für den Sieg.‹ Diese und ähnliche Parolen waren überall zu lesen. Klagte man bei Freunden oder äußerte man einen Wunsch (zum Beispiel, was man gerne mal wieder essen

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