Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
sich nicht dazu äußerten, so fühlte ich es dennoch.
Nach wie vor konnte ich nicht mit der Zuneigung meiner Mutter rechnen. Egal was ich tat oder wie ich mich anstrengte, ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihr nur ein Klotz am Bein war. Um meine Zukunft machte sie sich keine Gedanken:
»Es wird sich alles finden. Ein Mädchen ist da, um zu heiraten.« Vaters Besuch hatte mir auch bewusst gemacht, dass er meine Mutter nicht vergessen konnte. In seinen Briefen war es auch zwischen den Zeilen zu lesen. Er hatte doch nun seine eigene Familie, meine Halbschwester Helga war zehn Jahre, mein Halbruder Walther sieben Jahre alt. In den kommenden Sommerferien sollte ich auf alle Fälle nach Hamburg kommen, um Vaters Familie kennenzulernen. Neugierig war ich schon auf die Halbgeschwister, und die Aussicht, Hamburg kennenzulernen, war ebenfalls verlockend, aber nicht ohne Risiko. Man las von unseren Nachtjägern und der Flak, die funkgesteuert schoss und der viele Menschen und Maschinen zum Opfer fielen. Für unsere Nachtjäger gab es hohe Auszeichnungen
Was ich unbedingt in Erfahrung bringen wollte, war, was mein Vater beruflich machte. Vor Jahren erfuhr ich lediglich, dass er in einem Labor arbeitete und Pyrotechniker sei. Was war das?
»Leuchtraketen werden jetzt wohl nicht hergestellt«, meinte Mutter, aber gerüstet wurde ja überall. Vaters eigene Schilderung hatte nicht dazu beigetragen, dass ich begriffen hätte, was das alles bedeutete. Gerne hätte ich es genauer in Erfahrung gebracht. Nun hatte ich einen Vater und wusste gar nichts von ihm, wenn man mich nach ihm fragte. Als ich die Reise nach Hamburg endlich antrat, dachte ich, ich würde es schon mitbekommen, was das hieß: Pyrotechniker. Aber das war ein Irrtum.
Es war eine lange Reise, oft hielt der Zug auf offener Strecke, niemand wusste, warum. Dann fuhr er langsam an, hielt wieder, es gab keine Durchsagen. Mit wie viel Verspätung ich ankommen würde, war nicht zu erfahren. Meine Sorge war groß: ob Vater mich abholte, ob er von der Verspätung wusste? Es klappte, und ich atmete erleichtert auf, als er mich mit drei Stunden Verspätung in Hamburg in den Arm nahm. Er hatte ein Auto, so konnten wir direkt nach Fischbek zu seiner Familie fahren. Gegen neun Uhr kamen wir dort an, ich war schon sehr aufgeregt, als meine Stiefmutter mich, wie ich meinte, mit einem recht kühlen Lächeln begrüßte. Helga, meine Halbschwester, zeigte sich erfreut, nahm den Koffer und ging mit mir in ein Zimmer, das, wie sie erklärte, ihres war. Wenn Besuch kam, musste sie es teilen oder im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. Es stand ein Klavier darin, zwei Betten, ein runder Tisch, drei Stühle und ein großer Schrank. Es wirkte auf mich ganz gemütlich.
Auf meine Frage, wer außer Vater noch Klavier spiele, sagte sie:
»Ich natürlich.« Eine heimliche Freude stieg in mir auf: etwas gemeinsam mit Helga zu haben, fand ich toll. Aber meine Freude verflog auch rasch wieder. Wir gingen zurück in die Küche, wo Marie, Vaters Frau, ein Frühstück bereitgestellt hatte. Es gab Brot, Margarine, Marmelade und schwarzen Malzkaffee. Den Kaffee schwarz zu trinken, war und blieb für mich ein Gräuel. Ich dachte aber, dass eben keine Milch vorhanden war, es gab sie ja auf Marken oder eben schwarz. Doch Helga bekam, während ich frühstückte, den Auftrag, einen Pudding zu kochen, damit die Milch nicht sauer würde, es sei noch reichlich davon da. So hatte ich immer mehr den Eindruck, dass Marie bestimmt nicht über meinen Besuch erfreut war. Eigentlich wollte ich zwei Wochen bleiben, nun aber überlegte ich bereits, wie ich den Aufenthalt verkürzen konnte, ohne Vater misstrauisch zu machen. Am ersten Tag ließ man mich schlafen, bis auch Vater zum Mittagessen kam. Die Fahrt hatte 14 Stunden gedauert, ich fühlte mich zerschlagen und nicht willkommen. Tagsüber sah ich Vater kaum und des Nachts hörte ich ihn auch einige Male weggehen, nachdem das Telefon geklingelt hatte. Gemeinsam mit dem Firmeninhaber bewohnte Vaters Familie ein Doppelhaus, dies war nur einstöckig, es gab keine Keller.
Wenn es Alarm gab, mussten beide Familien einen großen Luftschutzkeller aufsuchen, der auch von der Belegschaft genutzt wurde. Die Firma war auf mehrere kleine Gebäude verteilt, alle in einem Wald gelegen, von außen völlig abgeschirmt. Aus dem Gelände kam niemand ohne Kontrolle heraus und genauso wenig hinein. Mein Traum von Hamburg hatte sich schnell relativiert. Diese Kontrollen waren
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