Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Da durften die Schweizer den Angehörigen eine bestimmte Menge an Lebensmitteln schicken. Meist waren es Kaffee, Schokolade, Nudeln, Zucker. Alles, was vor allem nicht verderben konnte. So konnte mir Mutter eine Tafel Schokolade mitgeben, damit ich sie Max schenken konnte. Er sprach so oft davon, dass er gerne mal wieder eine schöne Zartbitterschokolade essen würde. Es war eine Freude zu sehen, wie seine Augen leuchteten. Ganz vorsichtig brach er sich ein kleines Stückchen ab, schob es in den Mund und genoss mit geschlossenen Augen diese lang vermisste Köstlichkeit.
Die ersten Tage nach meiner Rückkehr waren oft von Heimweh überschattet. Ich stellte mir immer wieder die Frage, ob es richtig gewesen war, wieder zurückzukommen. Sicher wäre zu Hause manches einfacher gewesen für mich. Aber wollte ich das überhaupt? Als ich Hedy meine Sachen zeigte, die von Oma und Miriam für mich nach dem Motto: ›Aus alt mach neu‹ während meines Aufenthalts zu Hause genäht worden waren, war sie voll des Lobes. Großmutter hatte mir ein dunkelblaues Kleid, das für kalte Tage gedacht war, aus einem leichten Mantel von sich genäht. Dies war für mich ein Objekt, an dem ich mal wieder Fantasie walten lassen konnte. Gleich beschrieb ich Hedy, dass ich das Kleid etwas beleben werde.
»Wie willst du das machen?«
Ich erklärte Hedy alle Details, die ich mir überlegt hatte.
Noch vor Schulbeginn war das Kleid fertig. Ich war stolz, und auch Max fand das Ergebnis gut. Neben all den Vorbereitungen musste ich nun auch die Erlebnisse meiner Reise erzählen. Die erste Nacht meiner Rückkehr hatte ich lange überlegt, ob ich Max und Hedy das Treffen mit Florian gestehen sollte. Aber es ging ja nicht anders. Von dem Briefwechsel wussten sie sowieso, und weshalb sollte ich ihnen nicht davon erzählen. Schließlich wurde ich in zwei Monaten 17 Jahre alt. Außerdem kam nun die Post an diese Adresse: bei Descher, Dorfstraße 14 in Niederau. Sicher, so wünschte ich mir jedenfalls, würde Florian bald schreiben.
Am ersten Schultag wollte Hedy mich begleiten, aber ich lehnte freundlich ab. Sie meinte, sie könnte dann auch einiges in der Stadt besorgen. Mitfahren schon, ansonsten sollte sie ihre Angelegenheiten erledigen. Falls der Unterricht kürzer ausfiel am ersten Tag, könnten wir zusammen um 14.30 Uhr ab Hauptbahnhof zurück nach Niederau fahren. Sicher hätte sie zu tragen, dabei könnte ich ihr behilflich sein. So jedenfalls besprachen wir es und es klappte auch.
Wir wurden in erster Linie unserem Schulleiter, Dr. Rakow, vorgestellt. Er trug ein goldenes Parteiabzeichen und begrüßte allgemein mit »Heil Hitler«. Danach stellten wir uns einzeln namentlich vor und gaben unseren Wohnort bekannt. Dr. Rakow hakte die Namen auf seiner Liste ab. Die Plätze konnten wir uns aussuchen. Ebenso konnten wir sie täglich wechseln. Heute hatten wir einen Raum mit Bänken für jeweils nur zwei Schüler. Es gab aber auch Räume mit durchgehenden Sitzplätzen, wie an einer Universität, im Halbkreis. Es war ein Abtasten unter den Schülern, alles nur Mädchen. Viele in meinem Alter. Einige mochten aber auch schon den Anspruch auf die Bezeichnung ›junge Damen‹ haben. Zum Teil elegant gekleidet, im Kostüm und mit lackierten Nägeln. Zunächst stand ich noch unentschlossen da und wartete ab, bis die meisten saßen.
Da fasste mich ein gleichaltriges Mädchen am Arm und sagte spontan: »Komm, setzen wir uns zusammen, ich heiße Erika, wie heißt du? Ich darf doch ›du‹ sagen?«
»Natürlich«, war meine Antwort und ich nannte meinen Namen. Erika hatte haselnussbraunes Haar und trug einen langen Zopf, im Nacken geflochten. Sie war so aufgeschlossen und natürlich, dass sie mir auf Anhieb sympathisch war.
»Wollen wir uns täglich zusammensetzen?«, fragte sie.
»Gerne«, antwortete ich, froh darüber, das Sitzproblem gelöst zu haben. Alles andere folgte so nach und nach. Stundenpläne wurden verteilt. Ebenso Vordrucke für Sprachunterricht und Schwerpunkte für Banken oder Sekretariat. Erika und ich entschieden uns für das Sekretariat. Vorwiegend Stenographie, Schreibmaschine, Buchhaltung, Geldverkehr.
In der ersten Pause erzählte mir Erika, dass sie in Oberau lebe. Leider wohnten wir in entgegengesetzten Richtungen und konnten daher nicht gemeinsam nach Hause fahren. Ich fand das sehr schade. Wir füllten unsere Vordrucke aus und hatten damit einen festen Stundenplan. Wir belegten alle Fächer, die uns wichtig erschienen.
Weitere Kostenlose Bücher