Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Zweimal pro Woche trug ich mich im Anschluss an den normalen Unterricht zu einem Englischkurs ein. Für die Zukunft wurde uns eingeschärft, dass wir, wenn wir einmal dem Unterricht fernbleiben sollten, ein ärztliches Attest vorzuweisen hätten. In besonderen Ausnahmefällen genügte wohl auch eine plausible Erklärung. Dr. Rakow machte uns deutlich klar, dass er ansonsten Meldung über die Schulschwänzerin machen müsste.
»Wie Sie wissen, meine Damen, wird in der Rüstung und auch an der Front jede Kraft gebraucht.«
Erika meinte belustigt: »Wenn ich mal keine Lust habe, dann werde ich eben zu Hause in der Landwirtschaft gebraucht.« Sie lachte dabei so fröhlich, dass sie mich mit ihrer guten Laune ansteckte, auch wenn ich mit solchen Ausreden nicht aufwarten konnte. Jedenfalls ging ich mit der guten Absicht, möglichst viel zu lernen, in die Schule. Kein Tag würde wie der andere sein, wie später im Berufsleben eben auch. So stellte ich mir das zumindest vor.
Schon am dritten Tag waren wir zu viert im Bunde: Dorothe, die Tochter eines Anwalts, Isabell, deren Vater gefallen war und deren Mutter im Lazarett in Dresden als Ärztin arbeitete, Erika und ich. Dorothe war elegant, mit manieriertem Gehabe. Für Erika Grund genug, sie ständig zu kritisieren. Isabell, sehr schüchtern und zurückhaltend, etwa so groß wie ich, war mir sofort sympathisch. Ich fühlte, dass sie einfach dringend eine Freundin brauchte.
Isabell kannte alle Lebensmittelgeschäfte in der Stadt. Da wir alle erst gegen Abend nach Hause kamen, bot sie uns an, auf dem Weg zur Schule nach Möglichkeit etwas Essbares aufzutreiben.
»Habt ihr Brotmarken?«, war dann oft ihre Frage. »Beim Bäcker in unserer Nähe gibt es morgen Bienenstich. Ich könnte was mitbringen.« Nun ja, oft konnte man sich diesen Luxus nicht leisten, denn schließlich ging damit ein Teil der Brotration verloren. Aber ab und zu besorgte sie den köstlichen Kuchen, den wir dann genüsslich, oft am Ufer der Elbe lagernd, verspeisten. Dorothe war nicht so begeistert davon. Es ginge an die Hüften, damit machte sie uns wieder einmal deutlich bewusst, dass sie keine Not litt. Aber wir mochten sie trotzdem. Obgleich sie meist nicht verstehen konnte, worüber Erika und ich so herzhaft lachten. Als ich einmal eine Grimasse zog, Dr. Rakow nachahmend, meinte Dora, so nannten wir drei sie, mich streng ansehend:
»Eins habe ich inzwischen begriffen: Aus dir kann mal alles werden, nur keine Dame.« Erika und Isabell schauten mich gespannt an und warteten auf meine Reaktion.
Ich sagte ganz ruhig: »Mein Vater sagte mir einmal, ich hätte es nicht nötig, mich zu schminken, als ich es versuchte. Es sähe an mir auch nicht gut aus. Ebenso sollte ich auch bescheiden mit der Kleidung sein. Daraus schließe ich, dass er derselben Ansicht ist wie du, also brauche ich mir darum, ob ich eine Dame werde oder nicht, gar keine Gedanken zu machen.« Es schien gewirkt zu haben. Dorothe erwähnte nie mehr so etwas.
Am schönsten war die Zeit mit Erika. Wenn mal die Schule früher als geplant aus war oder eine Stunde ausfiel, war es unsere größte Freude, die Zeit bis zur Abfahrt unseres Zuges auf dem Zwingerteich zu verbringen. Ein altes Ruderboot war dort fest verankert. Wir setzten uns einfach rein und genossen das lustige Schaukeln. Dabei lasen wir, aßen unser mitgebrachtes Brot oder ein Stück geschnorrten Kuchen. Es war einfach herrlich.
Isabell fuhr immer gleich nach der Schule nach Hause. Sie wusste nie genau, wann ihre Mutter Freizeit hatte und vielleicht zwischendurch nach Hause kam. Auch Nachtdienst hatte sie häufig. Dresden war ja Lazarettstadt. Man sah verletzte Soldaten, soweit es ihnen möglich war, an Krücken oder im Rollstuhl in der Stadt. Viele sogar in Begleitung einer Rot-Kreuz-Schwester. Nach Amputationen an Armen oder Beinen waren viele frontuntauglich und in Dresden auf Genesungsurlaub, bis sie wieder, ihrer Behinderung entsprechend, eingesetzt werden konnten. Es gab viel Elend, trotzdem war von dem ›totalen Krieg‹ in Dresden noch nicht allzu viel zu spüren. Natürlich war das Essen knapp. Wer nur von den zugeteilten Rationen leben musste, hatte bestimmt oft ein Knurren im Bauch. Auch an Kleidung fehlte es. Glück hatten die mit Beziehungen, um an Schuhe und sonstige Kleidung heranzukommen. Aber ich war gerade mit Kleidungsstücken von meiner Mutter und Hedy ganz gut versorgt und machte mir deshalb keine allzu großen Gedanken darüber.
Isabell tat mir
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