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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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ohne Erklärungen ging es nicht! »Hedy«, sagte ich ganz ruhig, »du hättest doch bestimmt nicht Erichs Post gelesen, ohne zu fragen, oder? Wenn ja, meinst du, du hättest ihm damit eine Freude gemacht? Meinst du, er hätte es gestattet?«
    »Lass Erich aus dem Spiel«, kam drohend über ihre Lippen.
    »Ich will dich nicht verletzen, Hedy, aber meinst du nicht, dass du ein bisschen zu weit gegangen bist? Ihr seid mir ans Herz gewachsen. Ich bin euch für vieles Dank schuldig, aber ist es denn so unverständlich, dass ich auch Dinge für mich behalten will? Warum glaubt ihr Erwachsenen, dass alles, was ihr für richtig oder in Ordnung findet, es auch wirklich ist. Jeder Mensch kann doch über sich entscheiden und das tun, was für ihn gut sein könnte. Zum Beispiel, um deine Frage zu beantworten, falls ich nun ein Kind bekäme? Ich wüsste nicht, wovon! Ich selbst bin als uneheliches Kind auf die Welt gekommen, und es war für alle Beteiligten, auch für mich, eine schwierige Situation. Die Leidtragenden, so sagt man, sind die Kinder. Ich hatte das Glück, von meinen Großeltern aufgezogen zu werden. Nicht alle haben es so gut getroffen. Aber war es denn auch richtig, dass Großvater die Einwilligung verweigerte, sodass meine Mutter nicht heiraten konnte, nicht durfte? Hätte man ihr und meinem Vater nicht die Chance geben müssen, es miteinander zu versuchen, zumal sie es ja wollten? Meine Großeltern hätten mich trotzdem zu sich nehmen können, bis meine Eltern so weit waren, mich zu versorgen. Ich habe bis heute mit niemandem über meine uneheliche Geburt gesprochen. Selbst Florian weiß es nicht, und sollte ich mein Versprechen einlösen, dann ist es an ihm, mich zu heiraten oder nicht. Aber vorerst bleibt es bei dem Versprechen, das ich ihm gab, als wir uns verabschiedeten. Sollte Florian schreiben, so liegt mir vor allem daran zu wissen, wie es ihm geht. Wahrscheinlich ist er jetzt auf dem Marsch nach Frankreich. Ab nun bitte ich dich, meine Post mir ganz alleine zu überlassen. Du wirst bestimmt von mir erfahren, was dich interessiert, aber in erster Linie sind es Nachrichten für mich, und ich allein entscheide, was davon ich euch weitererzähle.«
    Max hielt den Atem an, aber ich merkte, dass er mir recht gab. Dabei meinte er, sich an Hedy wendend, dass sie kein Recht hätte, meine Post zu lesen. Ich versicherte Hedy wieder, dass ich ihr nicht böse war, aber sie solle auch mich verstehen, meinen Wunsch akzeptieren und mich als erwachsen ansehen. Meine Entschuldigung galt meiner Wortwahl. Bestimmt wollte ich sie nicht kränken oder ihr wehtun, aber sie musste einsehen, dass ich kein kleines Mädchen mehr war. Und ohne Vertrauen sei doch eine so enge Bindung wie die unsere nicht möglich. Hedy weinte, nahm mich in den Arm und bat mich, diesen Vorfall zu vergessen.

    Die Schulaufgaben nahmen viel Zeit in Anspruch, sodass es mit den Stadtbummel oder Kinobesuchen weniger wurde. Ich übte Steno und schaffte es beim Schulabschluss auf 180 Silben, Schreibmaschine 210 Anschläge. Was mich dagegen langweilte, waren Scheck- und Wechsellehre. Diesen Fachgebieten konnte ich nicht viel abgewinnen.
    Langsam erregte unser Mädchenkleeblatt Franz Sterns Aufmerksamkeit. Er versuchte immer, mit uns ins Gespräch zu kommen. Bei Dora kam er dabei nicht an. Sie wich ihm aus, wo sie nur konnte. Als es ihm dann nach einiger Zeit gelang, mit uns engere Kontakte zu knüpfen, hatte Dora plötzlich gar keine Zeit mehr für uns. Zuletzt zog sie sich ganz zurück und grüßte uns nur noch kurz angebunden. Erika meinte in ihrer Leichtigkeit, dass sie einfach auf sie zugehen wolle und sie fragen, was sie so plötzlich gegen uns habe. Isabell meinte begütigend, sie solle es lassen, die richtige Antwort würde Dora uns nicht geben. Warum also sie damit konfrontieren? Wahrscheinlich sei Franz der Grund für ihre ablehnende Haltung. Ihr Vater sei eben ein total überzeugter Nazi. Sie könne nicht anders.
    »Woher weißt du das, Isabell?«, fragte Erika sie.
    »Ach«, meinte Isabell, »sie hat kürzlich so etwas angedeutet. Genaues weiß ich nicht, aber Doras Vater achtet sehr auf den Umgang, den seine Tochter hat. Das Übrige denkt euch bitte, lasst es Franzl nicht merken. Er kann ja nichts dafür.«
    Da tauchte bei mir wieder die Frage auf: Was können Kinder für die Fehler der Erwachsenen? Wenn es überhaupt Fehler waren. Sie wurden in das Leben hineingeboren. Teils gewollt, teils ungewollt. Wenn die Erwachsenen nicht mehr

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