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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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weiterwussten, mussten die Kinder oft dafür bezahlen. Aber es lag auch nicht nur bei den Eltern. Erwachsene, die das Leben zu hart angreift, stehen oft hilflos den Ereignissen gegenüber. Dann verlieren sie die Hoffnung, die Kraft reicht am Ende auch nicht mehr. Was dann, wenn sie keine Hilfe bekommen, niemand ihnen zur Seite steht? Sie kapitulieren! Jeder auf seine Weise. Erst kürzlich hatten wir erlebt, dass ein älteres Ehepaar sich an einer Straßenbahn-Haltestelle vergiftete. Als morgens die erste Straßenbahn fuhr, saß das Ehepaar, sich an den Händen haltend, in dem Wartehäuschen. Sie waren tot. Ihre Gesichter waren entspannt, als wollten sie sagen: Verzeiht uns, aber wir haben es geschafft. Nun müsst ihr den Rest für uns erledigen!

    Die Lebensmittelversorgung wurde immer schlechter. Es gab viele Flüchtlinge bzw. Ausgebombte, die kein richtiges Zuhause mehr hatten. Sie wurden eingewiesen in Wohnungen und Häuser, die konfisziert wurden, und dementsprechend wurden sie auch von den Eigentümern und Mitbewohnern behandelt. Auf dem Land mussten diese Menschen meist in unwürdigen Behausungen leben, frierend und hungernd. Viele Säuglinge starben, weil es nicht genug Lebensmittel gab, um sie richtig zu ernähren. Das Elend war unendlich groß. Jeder Tag, den man ohne zu frieren und ohne zu hungern überstand, war ein guter Tag.

7

    Im Winter 1943 kamen viele Flüchtlinge aus dem Osten, oft mit Pferdewagen, die bis zur Grenze der Belastbarkeit mit dem Notwendigsten beladen waren. Sie wurden in Auffanglagern versorgt, um dann wieder weiterzuziehen, wohin auch immer. Die Hoffnungslosigkeit war in ihren Gesichtern zu lesen. Die Bevölkerung hatte anfänglich, wenn Platz vorhanden war, z.B. eine Scheune oder den Stall zur Verfügung gestellt, bis die Flüchtlinge weiterziehen konnten. Es gab Kranke unter ihnen, völlig erschöpfte Kinder, alte Menschen, die einfach nicht mehr konnten. Aber sie bekamen die Richtung vorgegeben und mussten dann wieder los. Es kamen ja noch sehr viele nach. Genaues erfuhr man nicht. Alle hatten Angst, diese Nachrichten weiterzugeben. Die Feldpolizei war meist aktiv, wenn ein größerer Flüchtlingsstrom eintraf. Aber es drangen doch immer mal Informationen durch. Diese waren nicht gerade hoffnungsvoll, selbst vor Gräueltaten wurde gewarnt.
    Scheinbar wussten wir in Dresden gar nicht, wie relativ gut wir noch mit allem versorgt waren. Von meinen Angehörigen bekam ich regelmäßig Post. Mutter schickte mir oftmals in einem Brief ein paar Lebensmittelmarken. Auch das Geld, das sie durch das Pillenverpacken verdiente, legte sie in einem Briefumschlag bei. Es lief so weit noch alles gut zu Hause. Obwohl wir große Fabriken hatten, wurde der Ort nie angegriffen. Der nahe Rhein war die Grenze zur Schweiz und bedeutete daher wohl auch für die Bewohner eine gewisse Schutzzone.

    Der Winter war nicht gerade angenehm. Zwar froren wir nicht in der Schule, aber das Hin- und Zurückfahren war beschwerlich. Die Züge waren kalt, unpünktlich und oft überfüllt. Es kam schon mal vor, wenn der Zug zu voll war, dass auf den nächsten gewartet werden musste. Dann waren Erika und ich immer froh, wenn wir zusammen sein konnten. Franzl, so nannte er sich, hatte es inzwischen geschafft, von uns drei Mädels, Isabell, Erika und mir, in unseren Kreis aufgenommen zu werden. Dora hatte sich von uns getrennt. Aber wir hatten ja Ersatz. Unser vierblättriges Kleeblatt war wieder vollständig. Franzl erzählte nicht viel über sich. Wir stellten auch keine Fragen, aber er war uns oft behilflich in Sachen Schulaufgaben. Die Nachmittage verbrachten wir in unterschiedlichen Kombinationen und mit wechselnder Besetzung, sodass keines von uns Mädeln zu kurz kam. Wenn ich mal wieder Marken hatte, gingen Erika und ich in unser kleines Café in der Prager Straße oder auch mal in ein Kino. Isabell schlenderte an einem Nachmittag mit mir durch die Kaufhäuser. Das war besonders lustig, wenn wir ganz naiv nach Dingen suchten und danach fragten, obwohl wir wussten, dass sie bestimmt nicht zu haben waren. Dann war Franzl an der Reihe, der auch gerne mal mit durch die Stadt spazierte. Er wohnte mit seiner Mutter in Bad Weißerhirsch. Mehr wussten wir nicht. Erika meinte irgendwann, dass ich mal alleine mit Franzl etwas unternehmen sollte. Das könnte ich doch an den Tagen, an denen wir sowieso nichts vorhatten.
    Wenn wir in dem großen Raum mit den durchgehenden Bänken Unterricht hatten, setzte sich Franzl neben mich.

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