Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Dinge an einem Tag erfreuen. So kann es aber geschehen, dass es Tage gibt, an denen schlechte Nachrichten sich überschlagen und man nicht weiß, wie man damit fertig werden soll.
Seit dem Gespräch mit Dr. Rakow waren mehrere Wochen vergangen, in der Schule lief alles recht gut. Dora hat sich ganz von uns zurückgezogen. Sie beobachtete mich aber immer. Vielleicht konnte sie es gar nicht verstehen, dass ich immer noch in der Schule anwesend war. Franzl ignorierte sie ganz und gar. Hatte sie für die Mädchen, vor allem für Isabell, ab und zu ein ›Guten Tag‹ übrig, so übersah sie mich gerne.
Auch von den übrigen Mitschülerinnen wurde Franzl weitgehend ignoriert. In mir machte sich die Vermutung breit, dass er das schon gewohnt war. Er machte sich scheinbar nichts daraus. Auch Erika und Isabell störten sich nicht an dem Verhalten der anderen.
»Wir haben doch genug an uns«, meinte Erika mit einem leichten Grinsen.
Aber dieser Tag gehörte zu den schwarzen Tagen voller Schrecken und Trauer. Isabell war schwer erkrankt. Näheres konnten wir nicht erfahren. Sie hatte uns nie ihre genaue Adresse gesagt. So konnten wir auch nicht nachfragen gehen, wie es ihr ging. Bei der täglichen Anwesenheitsabfrage erfuhren wir nur, dass sie krank war, aber sonst auch nichts. Erika wollte an diesem Tag früh nach Hause fahren. Sie sollte daheim helfen. Es ging stark auf Weihnachten zu. Franzl hatte auch keine Zeit, wie er erklärte. So verabschiedete er sich noch beim Einpacken der Schulutensilien in der Schulbank. Ich lief langsam durch die Prager Straße, überlegend, ob ich gleich nach Niederau fahren oder vielleicht noch in ein Kino gehen sollte. Nein, dachte ich, es würde zu spät werden. Ich wollte noch Briefe schreiben. Vor allem auch Erna für ihren Brief danken. Schulaufgaben waren auch zu erledigen.
Im Sommer würde alles wieder angenehmer sein. Sogar im Herbst saß ich noch hinter dem Haus im Garten, arbeitete für die Schule, schrieb Briefe oder las. Nun wurde es schon früh dunkel. Alles musste jetzt im Haus, meist in dem kleinen Wohnzimmer, erledigt werden. Brennmaterial war streng eingeteilt. Das Essen war oft mehr als bescheiden, aber wir hatten immer noch ein bisschen mehr als andere. Die Schlafzimmer waren schon sehr kalt. Ohne Wärmflasche hätte ich nicht einschlafen können. Ich hatte von der Kälte und dem unzulänglichen Schuhwerk bereits Frostbeulen. Hedy machte mir abends immer Wechselbäder. Großmutter hatte mir ein Töpfchen mit ihrer Salbe geschickt. Aber dafür war die Erfrierung schon zu weit fortgeschritten. Diese trüben Gedanken überfielen mich auf dem Heimweg. Es überkam mich unversehens so eine Trostlosigkeit, dass ich am liebsten geweint hätte.
Ich musste plötzlich an Florian denken. Wo mochte er sein? Die Soldaten litten sicher auch unter der Kälte. Viele verwundet, fern der Heimat. Dazu kam noch das Bangen um ihre Lieben zu Hause. Sicher hörten sie von den schrecklichen Angriffen in der Heimat. Wie viel Leid es überall gab. Ich hatte wenig Grund zu verzagen. Bisher wurde ich noch immer satt. Ich hatte liebe Menschen, die für mich und sich um mich sorgten. Jetzt waren es Hedy und Max, die mir zur Seite standen. Ich hatte gute Freunde. Und es gab da noch Florian, der mit einem Versprechen von mir wieder an die Front gegangen und voller Hoffnung war. Warum ließ ich auf einmal den Kopf hängen? Nein, ich durfte nicht die Zuversicht verlieren.
So lief ich mit den besten Vorsätzen vom Bahnhof Niederau zu Hedy und Max. Beide meinten, dass ich heute mal ausgesprochen zeitig zu Hause sei. So früh hatten sie mich nicht erwartet, meinte Hedy. Aber das Essen sei schnell warm.
»Was gibt es denn?«, fragte ich hungrig.
»Oh«, sagte Hedy, »du kannst ruhig einen großen Hunger haben. Wir haben ›Himmel und Erde‹ mit gebratener Blutwurst.«
»Hört sich gut an«, versicherte ich und schaute mich nach Post um. Scheinbar war keine da. »Na, dann lass ich es mir schmecken«, setzte ich hinzu und erzählte, dass heute alle früh nach Hause gefahren waren. Aber Isabell sei sehr krank, mehr darüber wusste ich nicht. Hoffentlich war es nichts Schlimmes.
»Na, musst nicht gleich schwarzmalen«, tröstete Max. Dabei hatte ich so das Gefühl, dass er Hedy ein Zeichen gab. War es so? Nach dem Essen erzählten die beiden mir, dass die Besitzer des Lebensmittelgeschäftes im Ort die Nachricht bekommen hatten, dass ihr Jüngster gefallen sei. Er war erst ein paar Wochen an der Front.
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