Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
Vom Netzwerk:
Bald setzten sich Erika und Isabell zusammen, da Dora anders disponiert hatte. So war das auch für die Zweierbänke perfekt geregelt. Er passte immer auf, dass ich während des Unterrichts aufmerksam zuhörte, erklärte mir auch, was ich nicht verstand. Aber in den Pausen waren wir drei Mädels ständig zusammen. Isabell brachte mir ab und zu ein Buch mit, das sie sich bei den Großeltern borgte, mit der großen Bitte, gut darauf aufzupassen, damit sie keinen Ärger bekäme. Das versprach ich hoch und heilig. Eines Tages brachte sie mir das Buch ›Die Feuerzangenbowle‹ von Heinrich Spoerl mit. Das Lesen begann schon auf der Heimfahrt im Zug. Fast immer hatte ich ein Buch in meiner Schultasche, aber dieses Buch las sich sogar im Stehen. Da lachte es sich auch am besten.

    Die Stunde begann heute mit Scheck- und Wechsellehre, wie langweilig! Franzl und ich saßen auf der runden Bank. Keiner daneben und niemand dahinter. Franzl hielt etwas Distanz, so konnte ich meine Langeweile mit Lesen bekämpfen. Ich verhielt mich unauffällig, so meinte ich jedenfalls, das Buch auf dem Schoß, die Augen immer mal auf Dr. Rakow gerichtet. Als der Oberprimaner Pfeiffer seinen Professor Crey darauf aufmerksam macht, dass Pfeiffer mit drei f geschrieben wird, vergaß ich Zeit und Raum. Durch meine kräftige Lachsalve merkte ich plötzlich, was ich angerichtet hatte. Es war ganz still im Raum. Alle Augen richteten sich auf mich, als Dr. Rakow auf mich zukam, stehen blieb und mich bat, ihm die Ursache meines Heiterkeitsausbruchs zu geben. Ich überreichte ihm das Buch und sah ihm in die Augen. Konnte er eine Antwort daraus lesen?
    »Sie wissen ja, dass unser Institut keine Schüler ausbildet, die sich nur die Zeit vertreiben wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass in der Nachkriegszeit über genügend ausgebildete Kräfte verfügt werden kann. Bisher waren Sie eine aufmerksame Schülerin mit einem erstaunlichen Wissen. Aber wenn Sie nur hierherkommen, um vom Arbeitseinsatz verschont zu bleiben, muss ich Sie enttäuschen. Ich gehe davon aus, dass es ein einmaliger Ausrutscher war. Deshalb will ich mir das Ganze noch einmal überlegen, ehe ich Meldung mache. Nach dem Unterricht möchte ich Sie in meinem Büro sehen.«
    Ja, das hatte ich davon! Was nun, wenn Dr. Rakow Meldung machte? Was, wenn ich in einen Rüstungsbetrieb musste oder gar an die Front? Nicht auszudenken. Es war gespenstisch still im Raum. Franzl sah mich von der Seite an. Er konnte mich ja nicht aufmuntern. Ich ließ meine Augen versuchsweise in Richtung Dora wandern. Sie drehte sich gerade nach mir um. Ich glaubte, ein schadenfrohes Lächeln zu erkennen. Franzl schrieb mir unauffällig auf einen Zettel, dass er nach der Schule am Altmarkt auf mich warten werde. Hoffentlich mit einer guten Nachricht.
    Nun, konzentrieren auf den weiteren Unterricht konnte ich mich nicht. Auch wenn ich mir noch so viel Mühe gab. Ich dachte an Vater, wie enttäuscht er sein würde. Hedy und Max, ja, was würden sie sagen? ›Was nun, Mädel‹, hörte ich Hedy, ›wie können wir dir da heraushelfen?‹ Oder so ähnlich. ›Du bist doch davon in Kenntnis gesetzt worden, dass es kein Spaziergang sein wird.‹
    ›Ganz ruhig‹, sagte ich mir plötzlich, ›noch ist nicht alles verloren. Wer weiß, vielleicht lenkt Dr. Rakow ein!‹ Auf dem Weg in sein Büro dachte ich an gar nichts. Ich legte mir auch keine nutzlose Entschuldigung zurecht. Leise klopfte ich an. Das ›Herein‹ war kaum hörbar. Dr. Rakow saß am Schreibtisch. Es dauerte, bis er seinen Füllhalter zuschraubte und mich ansah, den Füller in beiden Händen haltend. Auf einmal quoll es aus mir heraus, ohne abzuwarten, dass Dr. Rakow mich zuerst ansprach. Die Spannung in mir war einfach zu groß, und ich sagte leise, ihm dabei in die Augen schauend:
    »Bitte, Herr Dr. Rakow, entschuldigen Sie mein inkorrektes Verhalten. Ganz bestimmt wollte ich den Unterricht nicht stören. Noch viel weniger, Sie in diese Lage zu bringen zu entscheiden, wie es mit mir weitergehen soll. Der Tag fing bei mir mit Heimweh an. Ich weinte auch im Zug hierher, es überkam mich so stark, dass ich nicht dagegen ankam. Bisher ist es mir fast immer gelungen, es zu verdrängen. Durch Ablenkungen oder ein schönes Buch. Ich lese so gerne. Als ich dann mit Franz Stern alleine in der großen Bank saß, kam ich mir so verlassen vor. Mit dem Aufschlagen des Buches wollte ich mich einfach ein bisschen ablenken. Aber da las ich die Stelle, an der dem Professor

Weitere Kostenlose Bücher