Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
deutlich, dass sie ein sehr gepflegtes, wohlhabendes und behütetes Elternhaus hatte. Sie bot mir gleich ihre Freundschaft an, die ich freudig annahm. Glücklich darüber, eine Freundin zu haben, die mich mochte, einfach so, wie ich war. Ihr erzählte ich als einzige aus der Klasse von meiner unehelichen Geburt und wie sehr ich darunter litt. Sie brachte Verständnis dafür auf, dass ich vor den anderen nicht über meine Eltern sprechen wollte.
»Ich kann es verstehen«, meinte Stella, »wenn es dir so schwerfällt, darüber zu sprechen, behalte es für dich. Du hast keinen Grund, dich deshalb von den anderen zurückzuziehen. Du lebst dein Leben und gehst deinen eigenen Weg. Wie ich dich einschätze, wirst du deinen Eltern sogar beweisen, dass sie auf dich stolz sein können und du für sie noch ein ›Kind der Liebe‹ wirst!« Mir kamen die Tränen. Noch nie hat mit mir jemand so darüber gesprochen. Ich umarmte Stella und weinte an ihrer Schulter. Dabei hatte ich das Gefühl, als würde ich plötzlich wachsen, ich wurde stark und schwor mir gleichzeitig, dass niemand mich deshalb mehr beleidigen oder gar ›Bastard‹ nennen durfte.
Als Gisela am Abend von ihrem Treffen mit Laurenz zurückkam, redete sie davon, gemeinsam am kommenden Sonntagnachmittag in dem Lokal an der Ecke Hauptstraße tanzen zu gehen.
»Wie denn – tanzen, Gisela?«, hatte ich Bedenken, »du weißt doch, dass ich nicht gut tanzen kann. Woher auch, außerdem möchte ich mich nicht zwischen dich und Laurenz drängen. Auf mich brauchst du keine Rücksicht zu nehmen. Genieße du den Sonntag, ich fahre zu Hedy und Max.«
»Aber nein, ich wollte dir doch gerade erzählen, dass Laurenz im Lazarett einen Freund hat. Sie lagen schon seit Wochen zusammen in einem Zimmer und haben meist gemeinsam etwas unternommen. Sein Freund ist auch Leutnant und studiert im vierten Semester Medizin. Sie wollen dann, wenn normale Zeiten einkehren, auch zusammen weiterstudieren. Laurenz hat mich nun gefragt, ob sein Freund mitkommen könnte, damit er den Sonntag nicht alleine verbringen müsste. Wir hätten zusammen bestimmt einen netten Nachmittag. Wegen ›nicht tanzen können‹ wäre das auch geregelt. Karl hat eine Verletzung am Bein und geht am Stock. Wie denkst du darüber?«
»Nun, wenn Laurenz ihn mitbringen will, warum nicht. Vielleicht wird es trotz ›nicht tanzen‹ ganz nett.«
Nun gut, ich würde Hedy und Max einen Brief schreiben, dass ich mit Gisela am Sonntag etwas unternehmen wollte. Mein Besuch bei den beiden musste auch nicht immer sonntags stattfinden. Ich konnte ja auch an einem Wochentag nach der Schule nach Niederau fahren.
Jener Sonntag, Mitte Oktober 1944, ließ mich erahnen, dass es auch noch anderes im Leben eines jungen Mädchens gab als nur Schule und Gedanken darüber, ob man den Menschen, die man liebte, die einem viel bedeuteten und die so viel für einen getan hatten, alles recht machte. Ich sollte in den kommenden dreieinhalb Monaten begreifen, dass es ein Leben, ein Denken und vor allen ein Fühlen für mich gab, das alles nichts mehr mit dem Bisherigen zu tun hatte. Alles, was von mir Besitz nahm, war neu. Ich war zum ersten Mal glücklich, zum ersten Mal trat ein Mann in mein Leben, den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen würde.
Es gab schon ein bisschen Herzklopfen, als der Sonntag nahte. Laurenz und Karl wollten schon gegen 15 Uhr vor dem Lokal auf uns warten. Gedacht war dabei daran, einen Tisch für vier Personen zu bekommen. Und vor allem, vor Beginn der lauten Musik wollten wir uns erst einmal kennenlernen und unterhalten. Immerhin wäre es dann auch möglich, noch rechtzeitig umzudisponieren und in Dresden etwas zu unternehmen. Aber es blieb dabei. Wir blieben in Radebeul und eroberten vor dem Ansturm einen runden Tisch in der richtigen Größe. Erst stellte Gisela ihren Laurenz vor, nicht sehr groß, hellblond, etwas gedrungen, aber sehr sympathisch und aufgeschlossen. Er meinte bei der Begrüßung, dass Gisela schon Bedenken hatte, wenn sie mich des Öfteren alleine lassen würde.
»Oh«, winkte ich ab, »wir sind doch erwachsen und brauchen bestimmt keine Aufsicht. Es ist schön, wie es ist, wenn einer den anderen braucht, sind wir füreinander da.«
»Schön, wie Sie das sagen«, meinte der Freund. »Ich heiße Karl Schauffler«, und er bot mir seine linke Hand. Mit der rechten stützte er sich auf einen Stock. Nun war ich an der Reihe, meinen Namen zu nennen.
»Gisela und meine übrigen
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