Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
zähmen wollten.«
»Erkennst du den Wolf wieder?«
Ebenezer nickte. »Ich habe mir seinen Geruch gemerkt. Ich würde ihn wiedererkennen.«
Shadow scharrte mit den Füßen. »Hör mal, Jenkins, möchtest du ihm nicht eine Ohrfeige geben? Er hätte vorhin ›Hören‹ gehabt und ist einfach weggerannt. Er hatte kein Recht, hinter einem Hasen herzulaufen …«
Jenkins sagte streng: » Du hast Ohrfeigen verdient, Shadow. Deiner Einstellung wegen. Du bist Ebenezer zugewiesen, du musst ein Teil von ihm sein. Du bist kein Individuum, du ersetzt Ebenezer nur die Hände. Wenn er Hände besäße, hätte er dich gar nicht nötig. Du bist weder sein Aufpasser noch sein Gewissen. Nur seine Hand. Vergiss das nicht.«
Shadow trat empört von einem Bein aufs andere. »Ich laufe davon«, sagte er.
»Und schließt dich natürlich den wilden Robotern an«, sagte Jenkins.
Shadow nickte. »Sie werden mich gerne aufnehmen. Sie tun wenigstens etwas. Sie brauchen so viel Unterstützung, wie sie nur bekommen können.«
»Sie würden dich zu Schrott verarbeiten«, erwiderte Jenkins mürrisch. »Du hast keine Ausbildung, keine Fähigkeiten, die dich zu einem von ihnen machen würden.« Er wandte sich an Ebenezer. »Wir haben noch andere Roboter.«
Ebenezer schüttelte den Kopf. »Shadow ist in Ordnung. Ich werde schon mit ihm fertig. Wir kennen uns. Er sorgt dafür, dass ich nicht faulenze.«
»Fein«, sagte Jenkins. »Dann lauft, ihr beiden. Und wenn du wieder einmal Hasen jagst, Ebenezer, und dir dieser Wolf wieder begegnet, versuche ihn zu zähmen!«
Die Strahlen der westlichen Sonne strömten durch die Fenster, gaben dem uralten Zimmer die Wärme eines späten Frühlingsabends.
Jenkins saß ruhig auf dem Stuhl, lauschte den Geräuschen, die von draußen hereinkamen: dem Läuten der Kuhglocken, dem Bellen der Junghunde, dem Schlag einer Axt, die Holz spaltete.
Armer kleiner Kerl, dachte er. Schleicht hinaus, um einen Hasen zu jagen, wenn er hören soll. Zu weit – zu schnell. Das muss ich im Auge behalten. Sie dürfen nicht überfordert werden. Im Herbst machen wir ein, zwei Wochen Pause und jagen Waschbären. Das wird ihnen sicher guttun.
Obwohl auch ein Tag kommen würde, an dem es keine Waschbärenjagd mehr geben würde – der Tag, an dem die Hunde endlich alles gezähmt hatten und alle wilden Tiere denkende, sprechende, arbeitende Wesen geworden wären. Ein fantastischer Traum – aber nicht ausgefallener als manche Träume der Menschen.
Vielleicht sogar besser, denn ihm fehlte die Unbarmherzigkeit, mit der die Menschheit alles geplant hatte, die mechanische Brutalität, von der sich die Menschheit nie hatte lösen können.
Eine neue Zivilisation, eine neue Kultur, neues Denken. Mystisch vielleicht und visionär, aber auch der Mensch war visionär gewesen. Den Geheimnissen nachspüren, die der Mensch als unwichtig beiseitegeschoben, als Aberglauben abgetan hatte.
Wesen, die nachts poltern. Wesen, die in einem Haus herumschleichen, bis die Hunde erwachen und knurren, aber im Schnee finden sich keine Spuren. Das Heulen der Hunde, wenn jemand stirbt.
Die Hunde wussten Bescheid. Das war schon so, lange bevor sie sprechen und lesen konnten. Sie waren auf ihrem Weg nicht so weit vorgedrungen wie der Mensch – sie waren nicht zynisch und skeptisch. Sie glaubten, was sie hörten und fühlten. Sie brauchten nicht den Aberglauben als eine Form des Wunschdenkens, als Abwehr gegen das Unbekannte.
Jenkins wandte sich wieder dem Schreibtisch zu, nahm die Feder, beugte sich über das Tagebuch. Die Feder kratzte über das Papier:
Ebenezer meldete Freundschaft mit einem Wolf. Empfehle, dass der Rat Ebenezer vom Hören ent bindet und ihm aufträgt, den Wolf zu suchen.
Wölfe wären gute Freunde, sinnierte Jenkins. Großartige Fährtensucher. Besser als die Hunde. Kräftiger, schneller, leiser. Sie könnten die wilden Roboter jenseits des Flusses beobachten und die Hunde ablösen. Sie könnten die Burgen der Mutanten im Auge behalten.
Doch dann schüttelte er den Kopf. Heutzutage durfte man niemandem trauen. Die wilden Roboter schienen in Ordnung zu sein. Sie waren freundlich, kamen gelegentlich vorbei, halfen hie und da aus. Gute Nachbarn, aber man war sich nie sicher. Sie bauten Maschinen.
Die Mutanten störten keinen, ja man bekam sie kaum zu Gesicht. Aber auch sie musste man unauffällig beobachten. Niemand wusste, was für teuflische Dinge sie ausheckten. Man brauchte sich nur ins Gedächtnis zu rufen, was sie den Menschen
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