Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
einer hier gewesen. Jenkins ist ein Webster.«
»Das hat er uns nie gesagt.«
»Davon bin ich überzeugt.«
Das Feuer war niedergebrannt, und das Zimmer dunkel geworden. Die züngelnden Flämmchen warfen unheimliche Schatten an die Wand.
Und noch etwas. Leises Rascheln, kaum vernehmbares Flüstern, als sprächen die Wände. Ein altes Haus mit einem zweitausend Jahre alten Gedächtnis. Für die Dauer gebaut, und es hatte überdauert. Gebaut, ein Heim zu sein, und das war es immer noch – ein Haus, das die Arme um Webster legte und ihn fest und warm umfing.
Schritte klangen durch seinen Kopf – Schritte aus der Vergangenheit, Schritte, die schon vor Jahrhunderten verstummt waren. Die Schritte der Websters. Der Websters, die vor ihm gewesen waren, denen Jenkins vom Tag ihrer Geburt bis zu ihrer Todesstunde gedient hatte.
Geschichte. Das hier ist Geschichte. Geschichte, die sich in den Falten der Vorhänge versteckte, auf dem Boden kroch, in den Ecken hockte, aus den Wänden starrte. Lebendige Geschichte, die man in den Gliedern, an den Schulterblättern spürte – der durchdringende Blick aus Augen, die aus der Nacht der Toten zurückgekehrt sind.
Auch ein Webster, wie? Scheint nicht viel los zu sein damit. Wertlos. Taugt nichts mehr. Nicht wie wir früher. Vermutlich der letzte von ihnen …
Jon Webster bewegte sich. »Nein, nicht der Letzte«, sagte er. »Ich habe einen Sohn.«
Na, ändert nicht viel. Er sagt, dass er einen Sohn hat. Aber viel kann er nicht wert sein …
Webster richtete sich plötzlich auf; Ebenezer rutschte von seinem Schoß.
»Das ist nicht wahr«, rief Webster. »Mein Sohn …«
Und er setzte sich wieder.
Sein Sohn im Wald, mit Bogen und Pfeilen, beim Spiel, beim Vergnügen.
Ein Hobby, hatte Sara gesagt, bevor sie den Berg hinaufstieg, um hundert Jahre lang zu träumen.
Ein Hobby, ein Zeitvertreib. Keine Arbeit. Keine Lebensanschauung. Keine Pflichten.
Ein Hobby.
Etwas Künstliches. Etwas ohne Anfang und Ende. Etwas, das man jederzeit fallen lassen konnte, ohne dass es anderen auffiel.
Wie Rezepte für neue Getränke erfinden.
Wie Bilder malen, die niemand wollte.
Wie mit verrückten Robotern herumlaufen und die Leute bitten, ihre Häuser umgestalten zu dürfen.
Wie Geschichte aufschreiben, die keinen interessierte.
Wie Indianer spielen oder Höhlenmenschen oder mit Pfeil und Bogen herumlaufen.
Wie sich jahrhundertelange Träume für Männer und Frauen ausdenken, die des Lebens müde sind und sich nach dem Fantastischen sehnen.
Webster saß im Sessel und starrte in die Leere, die sich vor seinen Augen auftat, in die schreckliche Leere, die der nächste Tag sein würde und dann wieder der nächste Tag.
Geistesabwesend legte er die Hände übereinander und rieb mit dem rechten Daumen den linken Handrücken.
Ebenezer kroch durch die Dunkelheit, legte die Vorderpfoten auf die Knie des Menschen und sah ihm ins Gesicht.
»Hast du dir die Hand verletzt?«, fragte er.
»Was?«
»Ob du dir die Hand verletzt hast? Du reibst sie.«
Webster lachte. »Nein, das sind nur Warzen.« Er zeigte sie ihm.
»Oh, Warzen!«, sagte Ebenezer. »Die magst du doch nicht, oder?«
»Nein.« Webster zögerte. »Nein, eigentlich nicht. Ich bin aber nie dazu gekommen, sie mir wegmachen zu lassen.«
Ebenezer senkte die Schnauze und berührte Websters Handrücken. »So«, verkündete er triumphierend.
»Was heißt ›so‹?«
»Schau dir die Warzen an«, sagte Ebenezer.
Ein Scheit fiel in die Flammen, und Webster hob die Hand, betrachtete sie im aufzuckenden Licht.
Die Warzen waren verschwunden, die Haut glatt und sauber.
Jenkins stand im Dunkeln und lauschte in die Stille hinein, in die sanfte, schlafende Stille, die das Haus den Schatten überließ, den halb vergessenen Schritten, den längst verklungenen Sätzen, den Stimmen, die in den Wänden murmelten, in den Vorhängen raunten.
Durch einen einzigen Gedanken wäre die Nacht zum Tage geworden, eine einfache Veränderung seiner Sehzellen hätte genügt, aber der alte Roboter verzichtete darauf. Er wollte es so, in der Stunde des Nachdenkens, in der kostbaren Zeit, da die Gegenwart sich auflöste und die Vergangenheit zurückkehrte und lebte.
Die anderen schliefen, Jenkins nicht. Roboter schlafen nie. Zweitausend Jahre Bewusstsein, zweitausend Jahre ohne einen einzigen Augenblick des Vergessens.
Eine lange Zeit, dachte Jenkins. Eine lange Zeit, sogar für einen Roboter. Noch bevor der Mensch auf den Jupiter gezogen war, waren die
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