Als gaebe es kein Gestern
wenigstens mitteilen? Ich meine … krieg ich deine Adresse?“
„Nein“, sagte Livia schlicht.
„Hat Karen sie?“
Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über Livias Gesicht. Obwohl sie am vergangenen Sonntag wie immer bei Karen gewesen war, hatte sie ihr nichts von ihren Absichten erzählt. „Ich hab ihr einen Abschiedsbrief geschrieben“, seufzte sie. „Ich steck ihn gleich noch ein.“ Mit diesen Worten setzte sie sich wieder in Bewegung. Um an Arvin vorbeizukommen, musste sie zwar die Fahrbahn betreten, hatte anschließend aber wieder freie Bahn und konnte ihren Weg fortsetzen.
Allerdings eilte Arvin auch dieses Mal hinter ihr her. „Warum so endgültig?“, fragte er von hinten. „Es schadet doch nicht, wenn du uns sagst, wo du dich aufhältst.“
Livia seufzte auf und blieb erneut stehen. Dieses Mal drehte sie sich sogar zu Arvin um. „Natürlich schadet es, Arvin. Wenn ich es euch sage, wird Karen alles tun, um mich zurückzuholen. Und dann schadet es auch dir. Du wolltest immer, dass ich dich in Ruhe lasse. Jetzt bekommst du, was du wolltest. Warum freust du dich nicht endlich?“ Mit diesen Worten setzte sie sich zum dritten Mal in Bewegung.
„Warte, zum Donnerwetter“, brüllte Arvin.
Livia wirbelte erschrocken zu ihm herum.
Arvin war inzwischen völlig außer sich. Sein Gesicht war puterrot und seine Nasenflügel bebten. „Ich will nicht, dass du gehst, okay? Ich will es nicht! “
Livia hob halb verwundert, halb amüsiert die Augenbrauen. „Ich denke, das mit dem Haus kam etwas plötzlich für dich, hm?“, sagte sie in mitleidigem Tonfall. Dann schüttelte sie den Kopf, setzte die Reisetasche auf dem Gehweg ab und stemmte nachdenklich die Hände in die Hüften. „Hör zu. Es ist vielleicht besser, wenn du jetzt nicht ins Büro zurückkehrst. Geh nach Hause und dreh ein paar Runden mit Spike. Dann schlaf eine Nacht über der ganzen Sache. Glaub mir, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Überleg doch mal … du kannst dich zu Hause ausbreiten, wie du willst. Niemand wird je wieder Blumen in deinem Garten pflanzen …“
Aber Arvin schüttelte entschieden den Kopf. „Bleib bei mir, Livia“, sagte er ernst. „Bitte!“
Livia verzog verwundert das Gesicht.
„Ich meine es ernst“, fuhr Arvin fort. „Ich will, dass du bei mir bleibst. Ich fühle mich verantwortlich für dich. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich nicht wüsste, wo du bist und wie es dir geht. Die Sache mit dem Haus … sie ist nicht so einfach, wie du denkst. Auf dem Papier gehört das Haus jetzt wieder mir, aber du bleibst trotzdem meine Frau, verstehst du? Es ist meine Aufgabe, dich zu versorgen! Und jetzt, wo du mir das Haus zurückgegeben hast, wiegt diese Verantwortung noch hundertmal schwerer …“
„Ich spreche dich frei von deiner Verantwortung“, sagte Livia schlicht.
„Das geht nicht.“
„Warum nicht?“
„Weil ich das Versprechen, für dich zu sorgen, nicht nur dir gegeben habe, sondern auch Gott.“
„Wann soll das denn gewesen sein?“
„Bei unserer Hochzeit.“
Livia seufzte tief. „Du hast ihm also versprochen, mich zu versorgen, ja?“ Der Klang ihrer Stimme wurde schärfer. „Weißt du, Arvin, was mich interessieren würde? Mich würde interessieren, was du unter dem Begriff ‚Versorgung‘ so verstehst.“ Sie sah ihm provozierend ins Gesicht. „Erzähl doch mal!“
Arvin runzelte die Stirn. „Na ja … was man halt so landläufig unter Versorgung versteht … ein Dach über dem Kopf … Nahrung … Kleidung und all das.“
Livia nickte bitter und presste dann mühsam hervor: „All das hatte ich, Arvin. Was denkst du wohl, warum ich es wegwerfe?“ Als Arvin nicht antwortete, fuhr sie mit belegter Stimme fort: „Ich gehe, weil ich andere Dinge nötiger habe, viel nötiger … Dinge wie Liebe … Nähe … das Gefühl, gebraucht zu werden …“
„Ich könnte versuchen, dir das zu geben“, sagte Arvin leise.
Livia lachte auf. „Du hasst mich, Arvin.“
Arvin blickte zu Boden. „Ich könnte damit aufhören“, antwortete er ernst.
„Dann gibst du es also zu? Du gibst zu, dass du mich hasst?“
Arvin sah ihr ins Gesicht. „Ich kann es nicht leugnen, aber … ich könnte damit aufhören.“
„Du bist ja verrückt“, entfuhr es Livia und sie machte Anstalten, sich ein weiteres Mal von ihm abzuwenden.
„Nein, hör doch“, hielt Arvin sie zurück. „Hass und Liebe sind nicht einfach nur Gefühle, die einen Menschen beherrschen. Hass und Liebe sind
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