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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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leben?“
    Livia lehnte sich auf ihrem Platz zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Man merkt, dass du Informatiker bist“, schmunzelte sie.
    „Ob du’s glaubst oder nicht, aber ich habe mich intensiv mit der Frage befasst, inwieweit Menschen und Computer Ähnlichkeit miteinander haben.“
    Die Unterhaltung bewegte sich in eine philosophische Richtung und weckte allmählich Livias Interesse. „Und?“
    „Sie haben starke Ähnlichkeit, weisen aber auch erhebliche Unterschiede auf“, begann Arvin und rückte seine Brille zurecht. Er schien ganz in seinem Element zu sein. „Die Ähnlichkeit liegt darin, dass beide von jemandem erschaffen wurden, nämlich der Mensch von Gott und der Computer vom Menschen. Und beiden ist ein Programm mitgegeben worden, nach dem sie anschließend arbeiten. Der Unterschied liegt allerdings in einem kleinen, aber unglaublich wirkungsvollen Detail, das ‚eigener Wille‘ heißt. Der Computer hat so einen Willen nicht. Und glaub mir, trotz aller gegenteiligen Kinofilme – ich denke da an ‚I, Robot‘ und wie sie alle heißen – wird sich das auch niemals ändern. Der Computer tut, was man ihm sagt. Der Mensch nicht.“
    „Du meinst … sein Wille beherrscht das Programm?“
    „Genau!“, nickte Arvin. „Du hast es verstanden!“
    „Also lebt er nur dann nach dem Programm, wenn er es für sinnvoll hält.“
    „Könnte man sagen.“
    „Womit wir wieder bei der anfänglichen Frage wären: Warum sollte der Mensch gut zu sich sein? Es wäre doch viel besser, wenn er … sagen wir mal … gut zu anderen wäre, wenn er zum Beispiel das Allgemeinwohl über sein eigenes Wohl stellen würde …“
    „Berechtigter Einwand“, räumte Arvin ein. „Allerdings wage ich zu behaupten, dass ein Mensch, der überhaupt nicht auf sich achtet und immer nur an andere denkt, über kurz oder lang in sich zusammenbricht. Es gibt nicht umsonst Erschöpfungsdepressionen und dergleichen.“
    „Und wen würde das kümmern?“, fragte Livia. „Sieh dir doch mal die Ameisen an. Das Volk gedeiht, weil sich jede einzelne Ameise bereitwillig für die Allgemeinheit aufopfert. Wenn eine zugrunde geht, vergießt niemand eine Träne.“
    „Ich sollte den Unterschied zwischen Menschen und Ameisen studieren“, murmelte Arvin. Er schwieg einen Moment. „Aber wenn ich es mir recht überlege, erschließt er sich einem wie von selbst. Du hast nämlich recht: Wenn eine Ameise zugrunde geht, vergießt niemand eine Träne. Aber wenn ein Mensch zugrunde geht, weint Gott sich die Augen aus.“
    „So ein Unsinn!“, ereiferte sich Livia. „Wenn es Gott wirklich gibt – und die Betonung liegt auf ‚wenn‘, dann hat er bestimmt Besseres zu tun, als irgendeinem Idioten nachzuweinen. Es gibt mittlerweile mehr als sechs Milliarden Menschen auf der Welt. Warum sollte sich Gott um einen einzelnen sorgen? Um mich zum Beispiel. Ich wette, er weiß nicht mal, wie ich heiße, geschweige denn, welche Marmelade ich gerne esse.“
    „Du irrst dich, Livia. Er weiß sogar, welche Blutgruppe du hast und warum dein rechter Arm im Moment so schlecht funktioniert. Und die Liste da …“ – er deutete auf das Blatt, das mit „Livia“ überschrieben war – „… die hat er schon vor langer Zeit fertiggestellt. Und er zitiert sie dir im Schlaf, wenn’s drauf ankommt.“
    „Und woher nimmst du diese Erkenntnis?“ Livias Worte klangen scharf und ließen deutlich erkennen, dass sie verärgert war.
    Arvin zog seine dunklen Brauen zusammen. „Ich kenne die Bibel. Daher weiß ich, dass Gott den Menschen extrem wichtig nimmt. Er hat ihn nach seinem Bild erschaffen. Als Gegenüber. Und er hat ihn so sehr geliebt, dass er ihm bis in die Hölle hinterhergelaufen ist.“
    Livia fuhr hoch. „Bis in die Hölle? Wie meinst du das?“ Zweifelnd kniff sie die Augen zusammen
    „Er ist selbst Mensch geworden und hat das schlimmste Leid erduldet, das man sich nur vorstellen kann. Und alles nur, um den Menschen zu erlösen.“
    „Jesus, meinst du?“
    Arvin nickte.
    Livia seufzte tief. „Das sind doch nicht mehr als Geschichten, Arvin. Schöne Geschichten, aber auch zu schön, um wahr zu sein. Die Welt ist nicht so. Das große Glück lauert nirgends. Es ist einfach nicht da.“
    Arvin sah sie an und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann sagte er: „Du … du klingst nicht wie Livia.“ Er wandte sich an Karen. „Livia hat sich nie über solche Dinge Gedanken gemacht. Sie war …“ – er zuckte die Achseln –

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