Als gaebe es kein Gestern
machte keinerlei Anstalten, ihre Jacke abzulegen oder einen Sitzplatz einzunehmen.
„Wollen Sie sich nicht setzen?“
Livia schüttelte entschieden den Kopf. „Wie lange wird es dauern, bis Sie ein Ergebnis haben?“
Herr Walther zuckte die Achseln. „Eine Woche vielleicht …“
„Gut“, sagte Livia und machte auf dem Absatz kehrt. „Dann informieren Sie mich über das Ergebnis.“
Sie war schon fast an der Tür, als Herr Walther sie noch einmal ansprach. „Wie kann ich sicher sein, dass es sich um ein Haar Ihres Mannes handelt?“
Livia blieb stehen, knirschte mit den Zähnen und sagte gepresst: „Ich hab’s ihm quasi vom Kopf gerissen. Reicht das?“ Genau diesen Satz hatte sie eigentlich vermeiden wollen. Dieser Satz … dieser Moment … war es doch, der aus Vernunft Verrat gemacht hatte! Sie schauderte und versuchte, nicht daran zu denken, wie sie Arvin zärtlich durchs Haar gefahren war … wie er genussvoll die Augen geschlossen hatte … wie sie mit dem Haar – das sich zugegebenermaßen von selbst gelöst hatte – von dannen gezogen war …
„Sie sollten kein schlechtes Gewissen haben“, sagte Kommissar Walther.
„Kann ich jetzt gehen?“, fragte Livia mit zittriger Stimme. Sie war den Tränen nahe. Was wusste er schon? Wusste er vielleicht, was es Arvin gekostet hatte, ein weiteres Mal Vertrauen zu ihr zu fassen? Und wie zerbrechlich dieses Vertrauen war?
Ihre Frage wurde nicht beantwortet. Stattdessen sagte der Polizeibeamte: „So wie Ihre Schwägerin die Blutspur beschrieben hat, muss es eine ziemlich tiefe Verletzung gewesen sein …“
Livia rührte sich nicht. Sie stand immer noch mit dem Gesicht zur Tür.
„Wer auch immer es war, den Sie damals mit der Schere verletzt haben, dürfte zumindest eine Narbe zurückbehalten haben …“
Livia schluckte schwer. Sie wusste eigentlich, dass sie gehen musste. Sie hatte den Zweifeln schon viel zu viel Raum gegeben!
„Wir könnten gemeinsam überlegen, wo sich diese Narbe befinden müsste …“ Die Stimme des Beamten klang sanft und freundlich.
In Livias Gesichtsmuskulatur zuckte es – ein äußeres Zeichen für den inneren Kampf, der in ihr tobte.
„Am besten, Sie setzen sich noch einen Moment“, schlug Herr Walther vor.
Und Livia kehrte an den Schreibtisch zurück.
Kapitel 39
Die nächsten Tage waren anstrengend für Livia.
Sie spürte, dass der Same des Zweifels in ihrem Herzen aufgegangen war, und wartete verzweifelt auf das Ergebnis der DNA-Analyse. Gleichzeitig merkte sie, wie sie jede Handlung, jedes Wort, jede Bewegung von Arvin genau analysierte. Es war schwierig, den Argwohn, der dahintersteckte, unter Kontrolle zu behalten. Wenn sich Arvin allein ins Wohnzimmer zurückzog, musste sie sich ununterbrochen sagen, dass er dort nur ein Buch las und nicht den nächsten Anschlag auf sie plante. Wenn er ihr im Haushalt half, versuchte sie, dies mit seinem freundlichen Wesen zu erklären und nicht mit der Absicht, sie einzulullen und in Sicherheit zu wiegen.
Trotzdem war sie so schreckhaft, dass sie manchmal einen halben Herzinfarkt erlitt, wenn Arvin überraschend neben ihr auftauchte.
Vier Tage nach ihrem Gespräch mit Kommissar Walther hielt sie es nicht mehr aus und rief bei ihm an. Dabei erfuhr sie allerdings nur, dass das Ergebnis der Analyse noch ein paar Tage auf sich warten lassen würde. Livia war darüber so verzweifelt, dass sie den ganzen Tag lang in Aktivismus verfiel, das halbe Haus putzte und auf diese Weise versuchte, die Zeit herumzukriegen.
Als Arvin am Abend nach Hause kam, bemerkte er sofort, dass es im Flur kräftig nach Zitrone und Reiniger duftete. Nachdem er Livia begrüßt hatte, erkundigte er sich, ob sie Besuch erwarteten, von dem er nichts wisse.
„Kein Besuch“, konnte Livia ihn beruhigen. „Aber ich hab mich beim Putzen mal wieder so richtig ausgetobt.“
Arvin musterte sie kurz von oben bis unten und blieb mit seinem Blick an ihrer Schulter hängen.
Livia hob vorsichtig den rechten Arm. „Tut kaum noch weh“, lächelte sie.
„Trotzdem solltest du den Arm nicht gleich überanstrengen“, mahnte Arvin und streifte sich die Schuhe von den Füßen.
„Hab ich auch nicht. Du weißt schon …“ Sie bewegte die Finger ihrer rechten Hand. „Mit der Hand ist nicht viel anzufangen.“ Dafür hatte sie allerdings ihren Rücken ein bisschen überlastet. Er fühlte sich an, als hätte sie ein paar Säcke Mehl damit durch die Gegend geschleppt …
„Ich hoffe nur, du hast in deiner
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