Als gaebe es kein Gestern
gekennzeichnet, dass der Patient zwei verschiedene Gesichter zeigt …“
Das war zu viel! Sie wollte – konnte – das alles nicht länger verkraften! „Wenn Ihre Spekulationen alles sind, worauf Sie Ihren Verdacht stützen, möchte ich nichts mehr davon hören.“ Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.
„Sind sie nicht.“
Livia blieb stehen, drehte sich noch einmal zu Kommissar Walther um und sah ihn fragend an.
„Ich habe auch das Blut untersucht, das an der Schere war.“
Livia schluckte schwer. „Und?“
„Es gehört zu einem Menschen, der die Blutgruppe B+, also B, Rhesusfaktor positiv, besitzt.“
Livia konnte nicht verhindern, dass sie zu zittern begann. „Ich … ich kenne Arvins Blutgruppe nicht“, flüsterte sie.
Kommissar Walther hielt ihren Blick gefangen, als wäre er eine Schlange, die ihre Beute im Blick hat. „Ich schon … Als wir im Krankenhaus waren, war ich kurz mit seiner Jacke allein. Wie es der Zufall so will, befand sich darin sein Portemonnaie samt Führerschein und Unfallhilfe- und Blutspenderpass …“
In diesem Moment wäre Livia am liebsten davongelaufen, doch konnte sie sich nicht rühren. Sie konnte nicht einmal atmen.
„Ihr Mann hat die Blutgruppe B+.“
„B ist eine häufige Blutgruppe“, behauptete Livia tapfer.
„Falsch“, widersprach der Kommissar. „Nur neun Prozent der deutschen Bevölkerung hat B+.“
„Neun Prozent … Das … das ist fast jeder Zehnte! Es könnte Zufall sein! Es könnte Zufall sein!“ Ihre Sätze klangen mehr wie ein Flehen.
„Möglich ist alles“, gab Herr Walther zu. „Auf alle Fälle wüssten wir es genauer, wenn Sie uns damals das Haar gegeben hätten. Aber das haben Sie nicht.“
Livia schwieg.
„Aber jetzt, jetzt haben Sie doch mehr Nähe zu ihm“, meinte Walther lauernd.
„Ich soll sein Vertrauen dazu missbrauchen, ihm ein Haar zu entwenden?“, fragte Livia ungläubig.
„Ich brauche Sicherheit, hundertprozentige Sicherheit“, wiederholte Herr Walther die Worte, die Livia einmal selbst benutzt hatte.
Kapitel 38
Als Livia eine gute halbe Stunde später auf die Einfahrt des heimatlichen Grundstückes einbog, konnte man ihr ihren Seelenzustand nur allzu gut ansehen. Sie ging gebeugt, fast so, als hätte sie Bauchschmerzen. Und sie war mit ihren Gedanken noch lange nicht zu Hause. Sie wollte nicht tun, was Kommissar Walther von ihr verlangt hatte. Auf keinen Fall! Selbst wenn … was natürlich unwahrscheinlich war … aber selbst wenn sein Verdacht der Wahrheit entsprach … wollte sie es dann überhaupt wissen?
Als sie die Haustür erreicht hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als in ihrer Tasche nach dem Schlüssel zu kramen. Sie hatte das harte, scharfkantige Metall bereits in der Hand, als sich die Tür wie von allein öffnete.
„Onkel Arvin und ich, wir haben gekocht“, plapperte Vanessa drauflos. Sie hatte einen alten roten Pullover an, der mit Flecken nur so übersät war. „Ganz allein und ohne deine Hilfe. Es gibt Spaghetti Bogonäse. Die magst du doch, oder?“
Livia brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es Mittagszeit war. „Ich … ja, klar“, stammelte sie und nahm prompt den Geruch von angebratenem Fleisch wahr.
„Dann komm rein, Onkel Arvin sagt, du bist sausauspät.“ Mit diesen Worten beugte sich Vanessa zu Spike hinunter und schlang beide Arme um ihn. „Wenn was übrig bleibt, kriegst du auch was ab“, tröstete sie den Hund, der schon die ganze Zeit heftig mit dem Schwanz gewedelt hatte. Als sie sich kurz darauf wieder aufrichtete, stellte sie fest, dass sich Livia noch nicht vom Fleck gerührt hatte. „Beeil dich doch! Es wird alles kalt“, schimpfte sie.
Livia zuckte zusammen, als hätte sie jemand geweckt. „Schon gut!“, murmelte sie und zog Jacke und Schuhe aus. Dann folgte sie den Düften in Richtung Küche.
„Na, endlich!“, empfing Arvin sie. Aber es lag kein Vorwurf in seiner Stimme, nur ehrliche Freude. „Wir dachten schon, wir müssten alleine essen.“
Im Angesicht dieser Begrüßung war die Anspannung von eben auf einmal wie weggeblasen. Die Freude in Arvins Augen, seine riesige blaue Kochschürze, der gedeckte Mittagstisch, der Duft … all das ließ Livia auf einmal doch zu Hause ankommen. Sie begann zu strahlen. „Seid ihr denn gar nicht böse auf mich …?“
„Quatsch“, winkte Arvin ab. Dann kam er auf sie zu und legte einfach nur seine Hand auf Livias Wange. In seinen Augen glänzte tiefe Zuneigung. „Ich weiß ja, wo du
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