Als gaebe es kein Gestern
schluckte schwer. „N-nichts.“ Dann wandte sie sich ab und ging in Richtung Küche.
Arvins Schritte verfolgten sie.
In der Küche angekommen, öffnete Livia den Kühlschrank und holte eine Flasche Apfelsaft daraus hervor.
„Weich mir nicht aus“, hörte sie Arvin hinter sich sagen.
Livia schloss die Kühlschranktür, stellte den Apfelsaft auf der Arbeitsplatte ab und starrte die Wand an. „Du machst gar nichts falsch“, krächzte sie schließlich. „Gar nichts.“
„Wir haben hier gesessen“, sagte Arvin und ging langsam auf die Essecke zu. „Genau hier.“ Er deutete auf einen der Stühle. „Und du hast gesagt, dass du mir gehörst.“
Livia starrte weiter die Wand an.
„Ist es, weil ich dir misstraut habe?“
Nein , dachte Livia schlicht, es ist, weil ich dir misstraue. Und so war es. Was sie bisher nur erahnt hatte, war in diesem Moment so klar wie ein Frühlingsmorgen. Das Gespräch mit Kommissar Walther hatte sie zutiefst verunsichert. „Gib mir ein bisschen Zeit, Arvin“, presste sie hervor. „Ich bin … Ich fühle mich auch so schon überfordert. Mit Vanessa, dem Haushalt …“
„Du brauchst einfach nur Zeit?“ In seinen Worten schwang Hoffnung mit.
Livia nickte hektisch.
„Dann nimm sie dir“, sagte Arvin und atmete einmal tief durch. „Ich hab gelernt zu warten.“ Er lachte einmal kurz auf. „Wenn es irgendetwas gibt, das ich gelernt habe, dann das.“
❧
„Viel Spaß, mein Schatz“, sagte Livia und gab Vanessa einen Abschiedskuss. Sie sah mal wieder unheimlich süß aus heute Morgen. „Ich hol dich dann nachher ab!“
„Franzi, warte auf mich!“, protestierte Vanessa und hielt Franziska, die gerade an ihr vorbeiging, am Griff des Ranzens fest.
„Ey, lass das!“, schimpfte Franziska und riss sich mit einem Ruck los.
Livia holte Luft, um den Streit der beiden Freundinnen zu schlichten, kam aber nicht dazu, weil Vanessa und Franziska schon miteinander davonrannten. Sie pustete die Luft langsam aus. Anscheinend war es an der Zeit zu begreifen, dass Vanessa größer wurde und mit ihren Freundinnen selbst zurechtkommen konnte.
Sie beobachtete die beiden noch eine Weile und sah ihnen dabei zu, wie sie im Schulgebäude verschwanden. Ruhe kehrte dadurch aber nicht ein. Um sie herum plapperten und lachten und wuselten immer noch Hunderte von Kindern. Ein typischer Schultag eben. Oder doch nicht so typisch?
Livia stieß einen tiefen Seufzer aus, wandte sich um und trat ihren schweren Gang an.
Die Luft war kalt und feucht und ihr Atem fügte dem Nebel noch das eine oder andere Dampfwölkchen hinzu. Es war inzwischen Dezember und Livia trug Mütze und dicke Handschuhe. Trotzdem krabbelte ihre linke Hand beim Gehen immer mal wieder in ihre Jackentasche. Sie war immer noch da, die kleine Dose, von der sie nicht so genau wusste, was sie enthielt. War es Vernunft? Oder Verrat? War es richtig oder war es falsch?
Der Weg zum Polizeigebäude war lang und ließ Livia jede Menge Zeit zum Grübeln. Wer konnte ihr verdenken, dass sie endlich Gewissheit haben wollte? Andererseits bestanden die Zweifel nur, weil dieser Walther sie ihr eingeimpft hatte! Wenn er nicht gewesen wäre …
Aber er war! Und er hatte nun mal das Blut untersucht. B positiv. Sie hatte bei Gunda das Internet durchforstet und nachgeprüft, dass tatsächlich neun Prozent der deutschen Bevölkerung diese Blutgruppe hatten. Das ließ Raum für Zufälle. Aber eben auch Raum für Zweifel!
Abgesehen davon war dieser Gang nur zu Arvins Bestem. Ja, wirklich! Er wünschte sich eine richtige Beziehung, und wenn sie, Livia, ohne diese Gewissheit nun mal nicht bereit dafür war …
Auf der anderen Seite … Sie stellte sich vor, wie Arvin reagieren würde, wenn er von dieser Aktion erführe … Würde das nicht das letzte bisschen Vertrauen zerstören?
Als Livia gute zwanzig Minuten später vor dem Polizeigebäude ankam, waren ihre Beine so schwer, als hätten sie eine achtstündige Wanderung hinter sich. Und dann musste sie auch noch vier Treppen steigen, um in Kommissar Walthers Büro zu gelangen!
Um das Ganze möglichst kurz und schmerzlos zu gestalten, klopfte sie schließlich an der entsprechenden Tür und erstürmte quasi das Büro. Sie verzichtete auf jede Art von Begrüßung oder Smalltalk, näherte sich dem Schreibtisch, hinter dem Herr Walther saß, und klatschte die kleine Schmuckdose direkt vor ihm auf die Schreibtischunterlage.
Herr Walther sah erstaunt zu ihr auf.
„Das Haar“, sagte Livia und
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