Als gaebe es kein Gestern

musst einen Schutzengel oder so was haben. Was ich auch tat, du hast es überlebt. Die Medikamente, die ich mühsam vertauscht habe … die Geschichte mit dem Dach … einfach alles.“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Irgendwann verdichteten sich dann die Hinweise, dass deine Amnesie andauern würde. Ich hab Kontakt mit dir aufgenommen, um mich selbst davon zu überzeugen. Und du warst überzeugend. Zu diesem Zeitpunkt hab ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, dich leben zu lassen. Aber dann …“ Er seufzte tief. „Dann hast du dich doch erinnert. Nur an Bruchstücke zwar, aber das war mir einfach zu gefährlich. Deshalb hab ich ein paar neue Versuche gestartet … Du weißt schon, erst auf der Autobahn und dann in eurem Haus. Letzteres war übrigens ganz schön schwierig … Ich hatte zwar den Ersatzschlüssel, den Arvin immer im Büro aufbewahrt, aber ich musste an Spike vorbei. Wenn er mich nicht so gut gekannt hätte, wär mir das bestimmt nicht gelungen …“
    „An was für Bruchstücke hab ich mich erinnert?“, piepste Livia.
    „An deinen Namen zum Beispiel.“
    Livia sah Enno verständnislos an. „Ich hab … ich hab mich an meinen Namen erinnert?“
    „Angelika“, nickte Enno.
    „Ich … heiße … Angelika ?“
    „Allerdings. Ich hab die Vermisstenmeldung gesehen. Und ich verfolge seitdem alles, was damit zusammenhängt. Zum Glück gibt es viele Vermisste in Deutschland. Die Polizei ist ziemlich überfordert …
    „Angelika und weiter?“, hauchte Livia mit letzter Kraft.
    „Cordes“, sagte Enno. „Und dein Bruder heißt Jan. Und euer Hund heißt Nellie …“
    Livia erinnerte sich nicht wirklich. Sie erinnerte sich daran, dass Karen ihr mal gesagt hatte, sie hätte den Namen Jan gebraucht, und von Enno selbst wusste sie, dass sie Spike mal mit dem Namen Nellie angesprochen hatte, aber mehr … „Und wann, bitte schön, hab ich mich an den Namen Angelika erinnert?“, brach es aus ihr hervor.
    „Du bist überraschend hier aufgetaucht und hast die Mappe gesehen, die ich deinetwegen angelegt habe.“
    Livia schluckte. „Die Mappe, auf der ‚Angelika‘ draufstand“, erinnerte sie sich. „Aber ich hab … ich hab nicht gewusst, dass ich so heiße!“
    „Stimmt, aber du hast gespürt, dass du mal eine Angelika kanntest “, sagte Enno. „Und so fängt es doch an!“
    „Tut es das?“, schleuderte Livia ihm entgegen. „Ich kenne jetzt meinen Namen und … und den meines Bruders … und sogar den unseres Hundes … aber ich …“ Sie brach plötzlich in Tränen aus, musste sich an der Wand festhalten und verlor komplett die Fassung. „Ich kann nichts damit anfangen“, schluchzte sie. „Gar nichts.“
    „Das macht nichts“, sagte Enno. Und dann versetzte er Livia einen kräftigen Schlag mit dem Gewehrkolben, der ihr umgehend das Bewusstsein raubte.
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    Livia erwachte von einem weiteren heftigen Schlag, stöhnte vor Schmerzen auf, wurde auf den Bauch geworfen und riss panisch die Augen auf. Im ersten Moment hatte sie nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Es war stockfinster um sie herum. Außerdem konnte sie ihre Arme nicht bewegen. Dafür bewegte sich alles andere …
    Völlig desorientiert, wie sie war, versuchte sie sich aufzurichten, fiel auf die Seite, versuchte es nochmals … Dieses Mal gelang es besser als erwartet … doch brachte ihr das einen weiteren Schlag gegen den Schädel ein. Sie stöhnte auf und sank in ihre Ursprungsposition zurück.
    „Hilfe“, wollte sie rufen, schaffte es aber nicht, weil irgendetwas in ihrem Mund war. Sie begann, verzweifelt hin und her zu zappeln, um das, was sie festhielt, irgendwie abzuschütteln, hatte aber keinen Erfolg. Als sie schließlich erschöpft in sich zusammensackte, spürte sie eine ganze Weile nur ihren Kopf und das heftige Pochen, das sich darin niedergelassen hatte. Was war nur geschehen?
    Ein unangenehmes Gefühl überkam sie. Irgendetwas war nicht in Ordnung, das spürte sie. Etwas Furchtbares war geschehen …
    Die Erinnerung brach wie ein zerberstender Staudamm über sie herein und überflutete rasendschnell ihr gesamtes Denken. Sie war nicht Livia. Sie war … Angelika – wer auch immer das sein mochte. Und Enno, nicht Arvin, war derjenige, der versucht hatte, sie umzubringen … oder der es gerade versuchte???
    Panische Angst brach über sie herein und sorgte ein weiteres Mal dafür, dass sie sich aufbäumte. Aber es hatte keinen Zweck. Ihre Hände, das spürte sie inzwischen, waren hinter ihrem