Als gaebe es kein Gestern
Mal kein Risiko eingehen!
Als sich Enno plötzlich vom Wagen abwandte, schaffte es Livia gerade noch, die Augen wieder zuzuklappen. Dann musste sie hilflos ertragen, wie er sich nunmehr ihr näherte und die übel riechende Flüssigkeit großzügig über ihrem Körper und ihren Haaren verteilte. Das Benzin war eiskalt, obwohl es doch dazu gedacht war, Hitze zu verbreiten. Es war, als würde bereits die Hand des Todes nach ihr greifen, um sie in die Hölle zu werfen. Lieber Gott, hilf mir , betete sie. Hilf mir nur dieses eine Mal!
Enno ließ jetzt ein weiteres Mal von ihr ab und wandte sich dem Wagen zu. Livia hörte, dass er die Handbremse löste und den Wagen ächzend ein paar Meter vorwärtsrollte. Dann zog er die Handbremse wieder an. Wahrscheinlich stand der Wagen jetzt direkt am Abgrund!
Sie schauderte. Ennos Plan war einfach genial. Wenn sie hier starb, an dem Ort, an dem sie schon zweimal fast gestorben wäre, an dem Ort, an dem sie versuchte hatte, sich umzubringen, dann würde niemand mehr ermitteln, nicht einmal Kommissar Walther.
Aber dieser Gedanke setzte auch eine neue Klarheit in ihr frei. Sie konnte jetzt nicht sterben, wollte nicht! In erster Linie konnte sie Arvin das nicht antun. Wenn sie hier starb, würde er niemals erfahren, wie viel er ihr in Wirklichkeit bedeutete. Und sie konnte es auch sich selbst nicht antun. Erst musste sie wissen, wer sie war, welches Leben man ihr geraubt hatte … Bitte, lieber Gott, lass mich zuerst herausfinden, wer ich bin.
Enno kehrte jetzt zu ihr zurück, hob sie hoch und schleifte sie in Richtung Wagen. Hilf mir, Gott, betete Livia, hilf mir! Kurz darauf ließ Enno ihren leblosen Körper auf den Fahrersitz des Wagens fallen, wo er kraftlos in sich zusammensackte. Und das war nicht einmal gespielt! Sie fühlte sich vor Angst völlig gelähmt! Außerdem raubte ihr der beißende Benzingestank fast das Bewusstsein!
„Gurt oder kein Gurt?“, murmelte Enno nachdenklich. „Kein Gurt“, entschied er. Dann beugte er sich über Livia hinweg, griff ein weiteres Mal nach der Handbremse und löste sie.
Livia war inzwischen klar, dass es fünf vor zwölf war und sie irgendetwas tun musste. Aber was? Enno war ihr mit Sicherheit körperlich überlegen!
Als er sich aus dem Inneren des Wagens zurückzog, streifte er ihr Gesicht mit seinem Ellenbogen.
„So, dann müssen wir wohl Abschied nehmen“, sagte er mit beinahe feierlicher Stimme. „Und wag es nicht, ein weiteres Mal mit dem Leben davonzukommen!“ Mit diesen Worten packte er die Fahrertür mit der linken und das Wagendach mit der rechten Hand und schob den Wagen ein Stück vorwärts.
Er war noch nicht weit gekommen, als er plötzlich zu fluchen begann und den Wagen noch einmal anhielt. „Das wäre beinahe schiefgegangen!“, schimpfte er. Ärgerlich stöhnend verließ er seine Position und öffnete plötzlich die Beifahrertür.
Livia wagte es, die Augen noch einmal einen Spalt zu öffnen, und sah, dass er sich am Handschuhfach zu schaffen machte. Er öffnete es und kramte verzweifelt darin herum.
Jetzt! , war alles, was Livia denken konnte. Jetzt oder nie!
Sie richtete sich ruckartig auf, packte Enno seitlich an der Jacke und riss ihn mit aller Kraft zu sich heran. Unvorbereitet, wie er war, landete Enno zunächst bäuchlings auf dem Beifahrersitz, brüllte dann aber protestierend auf und versuchte sich hochzurappeln. Inzwischen hatte Livia den Wagen bereits mit einem Bein verlassen, spürte dann aber, dass Enno ihren Pullover zu fassen bekam. Sie kreischte verzweifelt auf und versuchte sich loszureißen, merkte aber, dass sie Ennos Griff nicht entkommen konnte. Trotzdem kämpfte sie mit Todesangst gegen ihn an.
In dem Gerangel begann sich der Wagen plötzlich wieder zu bewegen. „Scheiße!“, rief Enno und war einen Moment lang abgelenkt. Dieser Moment genügte Livia. Sie riss sich mit einer letzten, verzweifelten Bewegung los und landete geräuschvoll auf dem Boden vor dem Wagen.
„Scheiße!“, rief Enno ein weiteres Mal. Währenddessen knirschten die Räder des Wagens unaufhaltsam über den Boden. Dagegen herrschte im Inneren des Wagens eine beängstigende Stille. Livia verfolgte all das mit weit aufgerissenen Augen, war aber nicht in der Lage, auch nur den Kopf zu wenden. Dann hörte das Knirschen plötzlich auf.
„Neeeeeeeeeiiiiiiiinnnnnnnn!“ Ennos Aufschrei hallte durch die Dunkelheit, entfernte sich von ihr und schien eine Ewigkeit lang anzudauern. Dann wurde er durch einen
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