Als gaebe es kein Gestern
auffliegt … die Sache mit den Unterschlagungen … der Mord an …“ Sie zögerte. „An … mir … ich meine …“ Sie seufzte tief. „An Livia …“
Arvin und Kommissar Walther tauschten vielsagende Blicke.
„Hört auf, so zu gucken“, fauchte Livia verärgert. „Ich bin nicht verrückt. Ich bin … Angelika oder so“, piepste sie. „Cordes“, ergänzte sie. „Angelika Cordes.“ Es war furchtbar, diesen Namen auszusprechen. Denn es gab nichts, rein gar nichts, was sie damit verband. Als sie aufblickte, stellte sie fest, dass es Arvin und Kommissar Walther ähnlich ging. Ihr Blick suchte den von Arvin. „Das bedeutet, dass wir nicht verheiratet sind“, flüsterte sie.
„Du brauchst Schlaf“, sagte Arvin und stand auf. Dann wandte er sich erneut dem Polizeibeamten zu. „Finden Sie nicht auch, dass es jetzt genug ist?“
„Äh, ja … sicher …“
Arvin streckte Livia seine Hand entgegen. „Komm!“
Livia seufzte, ergriff seine Hand und ließ sich in die Höhe ziehen. Sie hatte keine Kraft mehr, um Widerstand zu leisten. Sie war erschöpft, vollkommen erschöpft. Als sie dann allerdings an Herrn Walther vorbeikam, blieb sie noch einmal kurz stehen, sah ihm ernst ins Gesicht und hauchte: „Angelika Cordes. Füttern Sie Ihren Computer mit diesem Namen.“
❧
Zwei Tage später hatte sich Livia einigermaßen erholt – körperlich jedenfalls.
Arvin konnte an seinen Arbeitsplatz zurückkehren, weil Livia ihre Rolle als Hausfrau und Mutter wieder ansatzweise ausfüllte. Aber es war schwieriger als sonst. Sie trug die schwere Last eines Wissens mit sich herum, das sie noch nicht wirklich mit jemandem geteilt hatte. Arvin jedenfalls war nicht darauf eingestiegen, obwohl sie noch mehrfach versucht hatte, das Thema anzuschneiden. Überhaupt war er ihr so fern wie nur möglich. Wahrscheinlich konnte er die Tatsache, dass sie zu Enno, ausgerechnet zu Enno geflüchtet war, einfach nicht verknusen.
Die schlechte Stimmung übertrug sich auch auf Vanessa. Sie war unausgeglichener und unzufriedener als sonst. Livia versuchte, sie auf andere Gedanken zu bringen, indem sie Franziska zu sich einlud. Aber obwohl Vanessa normalerweise gern mit Franziska spielte, nervten die beiden heute ununterbrochen mit der Frage, was sie denn spielen könnten. Erst gegen fünf konnten sie sich endlich auf Barbie einigen.
Zu diesem Zeitpunkt war Livia bereits völlig entnervt.
Und dann klingelte es auch noch an der Tür.
Als Livia öffnete, stand Kommissar Walther vor ihr. Er trug einen grauen Wollmantel und einen auffälligen roten Schal. „Guten Tag, Frau Cordes.“
Livia starrte ihn an und brachte kein einziges Wort heraus. Obwohl sie es doch gewusst hatte, fühlte sich diese Bestätigung wie ein Bombeneinschlag an.
Währenddessen begann Herr Walther lang anhaltend zu husten. Offensichtlich diente sein Schal nicht nur der Optik.
Irgendwann hatte sich Livia zumindest so weit gefangen, dass sie ein Stück zur Seite treten konnte. Mit einer Handbewegung bedeutete sie dem Kommissar einzutreten.
Während sie ihm dabei zusah, wie er Schal und Mantel ablegte, schwirrten die verrücktesten Gedanken durch ihren Kopf. Ob sie verheiratet war? Und Kinder hatte?
Noch auf dem Weg ins Wohnzimmer gelang es ihr, die Frage zu formulieren, die ihr am meisten bedeutete: „Hab ich … Familie?“
„Sie haben eine Mutter, einen Vater und einen Bruder.“
Eine Mutter, einen Vater und einen Bruder, wiederholte Livia in Gedanken. Genau wie Enno gesagt hatte. Es war gut, dass sie jetzt im Wohnzimmer angelangt waren. Sicher hätten ihre zitternden Knie demnächst unter ihr nachgegeben …
„Wissen sie von mir?“
Kommissar Walther nahm neben Livia auf der Couch Platz, kämpfte mit seinem Husten und schüttelte dabei den Kopf. „Ich … hab sie noch nicht kontaktiert …“
„Wie sind sie so? Ich meine … wie heißen sie … wo wohnen sie … was arbeiten sie …?“
„Moment“, hüstelte Herr Walther und zog einen Zettel aus der Hosentasche. Da er ziemlich zerknittert war, musste er ihn erst glatt streichen. „Also … Ihre Mutter heißt Inge, Ihr Vater Dieter und Ihr Bruder Jan … Ihre Eltern betreiben einen landwirtschaftlichen Hof weit oben in Niedersachsen. Soweit ich mich erinnere, züchten sie Schweine. Ich glaub … da oben züchten alle Schweine …“
„Schweine“, wiederholte Livia und versuchte, über diese Tiere einen Bezug zu ihrer Vergangenheit herzustellen. Leider hatte sie damit keinen Erfolg. Obwohl
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