Als gaebe es kein Gestern
was nicht“, schluchzte Livia und gab einen neuen Schwall Tränen von sich. „Ich hab hier nichts …“ – sie deutete auf ihr Herz – „… und ich hab hier nichts …“ – sie deutete auf ihre Stirn. „Und deshalb muss ich gehen.“
Als hätte sie es tatsächlich verstanden, ließ Vanessa ihre Arme sinken. Was sich allerdings nicht änderte, war die Tatsache, dass weitere Tränen ihre Wangen hinunterrannen.
Livia hob die rechte Hand, wischte ein paar davon fort und musste feststellen, dass der Strom einfach nicht versiegen wollte. „Hey, mein Schatz“, flüsterte sie. „Ich muss zwar gehen, aber das bedeutet nicht, dass ich niemals wiederkomme. Ich werde herausfinden, was ich wissen muss, und dann eine Lösung für uns finden. Ich hab zwar keine Ahnung, wie die aussehen könnte, aber …“ Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht … zieh ich einfach hier in die Nähe oder … ich hol dich zu mir … Sobald ich weiß, was wir machen können, melde ich mich bei dir, in Ordnung?“
Vanessa schluckte schwer. „Versprichst du mir, dass wir wieder zusammen sein werden?“
Livia atmete einmal tief durch. Obwohl sie geneigt war, alles zu versprechen, wusste sie doch, dass sie jetzt ehrlich sein musste. Sie dachte kurz darüber nach. Das Problem war, dass sie nicht wusste, wie Arvin sich verhalten würde. Er hatte das Sorgerecht! Sie sagte: „Ich kann dir nichts versprechen, was ich möglicherweise nicht halten kann, mein Schatz. Ich bin nicht deine Mutter. Ich hab keinerlei Rechte an dir. Aber ich verspreche dir, dass ich wiederkomme und dir sage, was wir machen werden, okay?“
Vanessa nickte tapfer. „Wann?“
„In zwei Wochen“, entgegnete Livia. So viel zu ihrer Bereitschaft, das Alte loszulassen und etwas Neues zu beginnen …
„Wie viele Tage sind das?“
„Vierzehn“, antwortete Livia mit dünner Stimme. Sie hatte den Zeitraum willkürlich gewählt, aber sie wusste, dass Vanessa eine Zahl brauchte, die sie begreifen und an der sie sich festhalten konnte.
Daraufhin rannte Vanessa weg, öffnete eine Schublade des Schrankes, holte einen Zettel und einen Stift daraus hervor und kehrte damit zu Livia zurück. Sie legte sich lang auf den Fußboden und begann, kleine Kreise auf den Zettel zu malen.
„Was machst du da?“
„Ich male Kringel“, erläuterte Vanessa und zählte leise mit. „… elf … zwölf … dreizehn … vierzehn … Die kann ich dann abstreichen! Immer wenn ich morgens aufwache, streiche ich einen durch.“
Livia atmete ganz tief durch. „Und wenn du es mal vergisst, wird dich Angelika daran erinnern!“
Vanessa blickte erstaunt zu ihr auf. „Wer?“
„Angelika“, wiederholte Livia und reichte Vanessa das Paket, das sie für sie gepackt hatte.
Vanessa erhob sich, kam langsam auf Livia zu und nahm ihr das Paket aus der Hand. Dann riss sie langsam das Geschenkpapier herunter. Darunter kam ein Schuhkarton zum Vorschein. Vanessa öffnete den Deckel und fand … eine wunderschöne Puppe mit dunklen kinnlangen Haaren …
„Oh“, sagte Vanessa nur.
Livia lächelte stolz. Sie hatte tagelang bei Gunda das Internet durchforstet, um diese Puppe zu finden. Sie war ein Schmuckstück sondergleichen mit dem hübschesten Gesicht, das sie je bei einer Puppe gesehen hatte.
„Danke“, seufzte Vanessa und testete die beweglichen Augen der Puppe, indem sie sie aus der aufrechten in eine liegende und wieder zurück in eine aufrechte Position brachte.
Livia sah ihr dabei zu, hörte aber bereits, dass sich Schritte näherten. Mit einem leisen Seufzer richtete sie sich auf. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet und Arvin erschien im Türrahmen. „Gunda wartet im Flur auf dich“, sagte er und ließ seinen Blick über Vanessa und die Puppe gleiten.
Livia räusperte sich. „Ich hab auch ein Geschenk für dich .“
Arvin hob erstaunt die Augenbrauen, sah kurz auf das grüne Paket, das immer noch auf dem Boden lag, und schüttelte dann den Kopf. „Das ist nicht nötig. Ich meine … ich will keine Geschenke von dir.“
„Dieses wirst du annehmen“, sagte Livia ungewohnt scharf und bestimmt. Sie bückte sich danach, hob es auf und ging damit auf Arvin zu. „Du wirst es nehmen, weil ich eine Ewigkeit danach gesucht habe.“ Und das war kaum übertrieben. Vanessas Geschenk zu finden hatte bereits viel Zeit und Mühe gekostet, aber das hier … Sie hatte Tage bei Gunda im Internet verbracht!
Livias energisches Auftreten verfehlte seine Wirkung nicht. Als sie Arvin jetzt das
Weitere Kostenlose Bücher