Als gaebe es kein Gestern
Kopf schüttelte.
„Darum geht es doch nicht, Livia. Es geht darum, dass Vanessa ihre Mutter auch mal ganz für sich alleine braucht. Und ich … ich brauche ebenfalls einen Rückzugsort. Verstehst du das nicht?“
Livia schluckte schwer, räusperte sich und kämpfte ganz offensichtlich mit aufsteigenden Tränen. „Aber ich …“ – ihre Stimme klang belegt – „ich kann nicht alleine leben.“ Sie hob die rechte Hand. „Ich bin noch gar nicht ganz gesund. Und dann die Albträume …“
„Ich weiß“, nickte Karen. „Und deshalb bin ich auch der Meinung, dass du bei Arvin einziehen solltest.“ Sie sah Livias Ausbruch kommen und verhinderte ihn, indem sie beschwichtigend die Hände hob und sofort weitersprach. „Ich weiß, was du jetzt denkst, Livia. Aber Arvin ist nicht so, wie du denkst. Außerdem arbeitet er sehr viel. Er wird nur selten zu Hause sein. Abgesehen davon werde ich dich genauso häufig besuchen wie jetzt auch. Das verspreche ich dir!“
„Er wird mich gar nicht aufnehmen!“, sagte Livia. Ob sie mit diesem Satz einer Hoffnung oder einer Befürchtung Ausdruck verlieh, war nicht erkennbar.
„Doch, das wird er“, behauptete Karen. „Er wird dich aufnehmen, weil er ein verantwortungsbewusster Mensch ist. Und er wird dich aufnehmen, weil er muss. Ihr seid schließlich verheiratet. Wenn du es willst, wird er dich aufnehmen.“
Livia schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich will es aber nicht.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. „Ich will es nicht!“
Kapitel 9
Karen tat, was sie nicht wollte und nicht ihre Aufgabe war: Sie vermittelte.
Das Gespräch mit Arvin über dieses Thema fand an einem Sonntagnachmittag statt. Karen hatte sich bei Arvin zum Kaffee eingeladen und rutschte schon während der Torte unruhig auf ihrem Platz hin und her. Als Vanessa schließlich zum Toben nach draußen verschwunden war, sagte sie: „Wir müssen reden.“
Arvin, der die Gabel schon fast zum Mund geführt hatte, zögerte kurz, schob das riesige Stück Schwarzwälder Kirschtorte dann aber doch in sich hinein und genoss es mit sichtlicher Begeisterung. Erst als er damit fertig war, sagte er: „Allerdings müssen wir das! Und zwar darüber.“ Er deutete missbilligend auf Karens Teller. Das Stück Torte, das er seiner Schwester aufgetan hatte, war kein bisschen kleiner geworden. „In letzter Zeit isst du wie ein Spatz.“
Karen nickte. Diese Bemerkung war ein Ablenkungsmanöver, kam ihrer Strategie aber durchaus zugute. „Du hast recht, Arvin. Es geht mir nicht gut. Ich habe Magenprobleme. Hast du eine Ahnung, woher das kommt?“
Arvin versteifte sich. Anscheinend hatte er gerade bemerkt, dass er sich ein Eigentor geschossen hatte. „N-nein.“
Karen blickte ihm ernst ins Gesicht. „Ich bin überfordert, Arvin. Eigentlich wäre ich mit meiner Doppelrolle als Krankenschwester und alleinerziehender Mutter schon überlastet. Aber ganz nebenbei muss ich noch deine …“ – sie zögerte kurz – „meine Schwägerin betreuen. Ich kann nicht mehr, weißt du?“
Arvin senkte betreten den Blick. „Sicher weiß ich das. Und ich würde dir ja auch helfen, wenn ich könnte … wenn ich mehr Zeit hätte. Aber die Firma! Du weißt, dass es uns schon länger nicht mehr besonders gut geht. Immerhin hat Enno diesen Auftrag an Land gezogen … Das Problem ist bloß, dass ich nicht weiß, wie ich diese Software in so kurzer Zeit fertigstellen soll! Ich arbeite schon wie ein Verrückter!“
Karens Blick wurde weich. Sie spürte förmlich, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet. Es stimmte ja, die Firma, die Enno und er gemeinsam aufgebaut hatten, befand sich in der Krise. Und sie war Arvins Lebensgrundlage! War es da nicht ihre Aufgabe als Schwester, ihm den Rücken freizuhalten?
„Mama!“, rief eine begeisterte Stimme. Gleich darauf stürmte Vanessa herein. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet, ihre Knie total verdreckt. „Kommst du mit raus? Ich will dir zeigen, was ich kann!“
„Einen Moment noch, Vanessa“, entgegnete Karen und schenkte ihrer Tochter ein warmes Lächeln.
Trotzdem erstarb das Strahlen in Vanessas Blick. „Das kenn ich schon“, maulte sie und verließ mit hängenden Schultern das Wohnzimmer.
Karen sackte in sich zusammen. Vanessa hatte recht. Sie wurde andauernd vertröstet. Sie konnte nicht noch mehr zurückstecken. „Ich werde Livia nicht bei mir aufnehmen“, hörte Karen sich sagen.
Arvin blickte auf. „Wie … aufnehmen?“
„Sie
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