Als gaebe es kein Gestern
schön raus und wartest, dass sich die Probleme von allein lösen.“
Karen starrte sie an. Was hatte sie da gerade gesagt? „Das … das ist doch wohl die Höhe“, brach es aus ihr hervor. „Ich halte mich raus? Ich?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und lief rot an. „Ich hab deinetwegen mein ganzes Leben aufgegeben! Ich habe nichts mehr – keine Freunde, keine Hobbys! Ich widme mich entweder dem Job, meiner Tochter oder dir! Es gibt nichts anderes mehr, gar nichts. Und das alles habe ich getan, obwohl du vor deinem Unfall …“ Sie biss sich im letzten Moment auf die Zunge und verstummte.
„Obwohl ich vor meinem Unfall was?“, zischte Livia. „Ich hab immer gewusst, dass da irgendetwas war. Und ich hab ein Recht, es zu erfahren!“
„Rechte, Rechte“, entfuhr es Karen. „Ich hör immer nur ‚Rechte‘. Wie wär’s zur Abwechslung mal mit Pflichten? Ehelichen Pflichten zum Beispiel. Hast du eine Ahnung, was Arvin durchgemacht hat? Wie du mit ihm umgesprungen bist?“
„Wie?“, schrie Livia ihr entgegen. „Wie bin ich denn mit ihm umgesprungen?“
Karen stöhnte auf und drehte sich von Livia weg. „Es ist nicht meine Aufgabe, dir das zu sagen“, presste sie hervor. „Es ist Arvins Sache. Und ich habe keine Lust, das zu übernehmen.“
„Also gut“, gab Livia zurück. „Ich werd ihn fragen. Aber sag nachher nicht, ich hätte vorsichtiger mit ihm umgehen sollen oder so was. Ich hab ein Recht auf ein paar Antworten. Und wenn du sie mir nicht gibst, hol ich sie mir bei ihm. Und weißt du was? Ich werde es sofort tun.“ Sie drehte sich um und marschierte in die Richtung, aus der sie beide gekommen waren.
„Tu das!“, rief Karen hinter ihr her. „Und wenn du schon mal dabei bist, dann klär bitte auch die alles entscheidende Frage, ob du bei ihm wohnen kannst, wenn du demnächst entlassen wirst.“
Livia blieb stehen, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Dann drehte sie sich in Zeitlupentempo um. Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. „W-was?“, stotterte sie.
Karen schluckte. Sie hatte sich schon so lange vorgenommen, dieses Thema anzusprechen. Und sie hatte es sanft und vorsichtig tun wollen. Stattdessen hatte sie den Frust darüber, dass Arvin auch bei diesem allzu notwendigen Thema immer abblockte, an Livia ausgelassen.
„Ich … ich weiß nichts von einer Entlassung … und …“ Livia wirkte vollkommen verstört. „Das Krankenhaus ist mein Zuhause.“
Karen senkte betroffen den Blick. „Die Entlassung ist ja auch noch ein bisschen hin. Vor Januar, Februar wird das nichts. Trotzdem möchte ich, dass du dich damit auseinandersetzt. Im Grunde … hast du doch gewusst, dass du nicht für immer im Krankenhaus bleiben kannst“, sagte sie leise.
„Januar, Februar“, wiederholte Livia und schauderte. „Aber warum … weißt du es und ich nicht?“ Livias blaue Augen waren kugelrund.
Karen mochte sie noch immer nicht ansehen. „Die Ärzte haben wohl geahnt, dass du mit einer Entlassung Probleme haben würdest. Deshalb haben sie mich gefragt, ob ich es dir schonend beibringen könnte. War nicht wirklich schonend, was?“
„Du wirst mich doch aufnehmen, Karen, oder?“, fragte Livia, ohne auf die Frage einzugehen. Das Zittern in ihrer Stimme verriet viel über die Bedeutung dieser Frage. „Ich meine … du bist meine Freundin … der einzige Mensch …“
Karen blickte angestrengt auf ihre Schuhe. „Ich hab nur eine klitzekleine Wohnung, Livia, und –“
„Das macht nichts“, beeilte sich Livia zu versichern. „Ich brauche nicht viel Platz. Ehrlich nicht. Ich schlafe auf dem Sofa und –“
„Ich aber“, fiel Karen ihr ins Wort. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und sah Livia in die Augen. „Ich brauche viel Platz. Und Vanessa braucht viel Platz. Und überhaupt …“ – sie atmete einmal tief durch – „was ich vorhin gesagt habe … du weißt schon … dass ich gar kein eigenes Leben mehr habe … keine Hobbys … keine Freunde … das ist ein großes Problem für mich.“
„Dann lösen wir es gemeinsam!“, rief Livia aus. „Ich fühle mich sowieso furchtbar nutzlos hier im Krankenhaus. Es ist schrecklich, einfach nur so vor sich hin zu leben! Ich möchte eine Aufgabe haben und gebraucht werden. Ich könnte dir furchtbar viel abnehmen. Ich kann arbeiten! Ich will arbeiten! Ich mach dir den ganzen Haushalt, wenn du willst! Und ich betreue Vanessa. Sie geht doch jetzt in die Schule …“ Sie verstummte, weil Karen heftig mit dem
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