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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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erneut an ihre Tür bummerte, dieses Mal noch energischer. „Aufstehen!“, brüllte ihre Mutter wie ein Feldwebel. „Sonst kommen wir zu spät!“
    „Ich bin aber noch müde“, jammerte Livia.
    „Die Familie Cordes“, begann Inge in einem beinahe feierlichen Tonfall, „ist seit Generationen dafür bekannt, dass sie zu den eifrigsten und verlässlichsten Gottesdienstbesuchern der Gemeinde gehört. Und deshalb stehst du jetzt auf und kommst zum Frühstück. So-fort!“
    Livia öffnete gehorsam ihre Augen und versuchte zu begreifen, was die Worte ihrer Mutter bedeuteten. Besuchten sie diesen Gottesdienst nur, um eine Tradition fortzuführen?
    Das stand in krassem Gegensatz zu dem, was sie bei Arvin und Karen erlebt hatte. Die beiden hatten an Gott geglaubt, wirklich geglaubt. Sicher, sie hatten auch ihre Probleme mit Gott gehabt, gerade Arvin, aber es gab trotzdem keinen Zweifel daran, dass sein Suchen und Kämpfen echt gewesen war.
    Arvin und Karen hatten es immer akzeptiert, wenn sie sich geweigert hatte, in den Gottesdienst zu gehen. Und hier wurde sie jetzt gezwungen?
    „Das ist total bescheuert“, flüsterte sie, gab sich aber dennoch einen Ruck und quälte sich aus dem Bett. Was blieb ihr schon anderes übrig …
    ❧
    Die Kirche war ein mittelalterlicher Bau, der auf einer kleinen Anhöhe das gesamte Dorf überragte. Sie wirkte schon durch ihre Größe und die Tatsache, dass sie völlig frei auf einem mit Kopfsteinen bepflasterten Platz stand, sehr beeindruckend.
    Livias Blick wanderte von den beiden kleinen Türmchen hinüber zu der schweren, hübsch verzierten Eingangstür aus dunklem Eichenholz. Ihr war, als hätte man sie um ein paar Hundert Jahre in die Vergangenheit versetzt. Fast konnte sie sich vorstellen, wie ihre Vorfahren zu Fuß oder mit Pferd und Wagen hier ankamen und den Gottesdienst besuchten.
    Obwohl … das Ganze erforderte sehr viel weniger Fantasie als gedacht! Gerade jetzt schlich ein altes, gebeugtes Mütterlein mit Kopftuch auf die Tür zu und zerrte verzweifelt daran herum. Livias Vater beschleunigte seinen Schritt, überholte Livia und öffnete der alten Dame galant die Tür. Sie bedankte sich überschwänglich und verschwand dann im Inneren des Gebäudes. Kurz darauf konnten auch Livia und ihre Mutter eintreten.
    Im Inneren der Kirche war es zunächst einmal dunkel und kalt. Außerdem schlug Livia feuchte Luft entgegen. Als sie sich dann allerdings an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, gab es etwas, das ihr noch viel unangenehmer war: die neugierigen Blicke! Aus allen Kirchenbänken starrten sie ihr entgegen. Oder bildete sie sich das ein?
    Ihre Mutter grüßte höflich erst in die eine, dann in die andere und wieder in die entgegengesetzte Richtung. Livia stolperte planlos hinter ihr her.
    Aber dann drehte sich Inge plötzlich um und flüsterte: „Du sitzt hier.“ Mit diesen Worten drückte sie Livia nach links in eine bestimmte Reihe. Livia wusste im ersten Moment überhaupt nicht, wie ihr geschah. Erst als sie Hennings Gesicht neben sich sah, begriff sie allmählich. „H-hallo“, stammelte sie und erntete ein fröhliches Grinsen.
    Ihre Mutter nahm neben Livia Platz und schob sie bei dieser Gelegenheit noch dichter an Henning heran. In den Bänken vor und hinter Livia steckten die Leute ihre Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln.
    „Na, gut geschlafen?“, flüsterte Henning von links. Er trug ein hellblaues Oberhemd und ein dunkles Jackett.
    Livia zuckte die Achseln. Sie konnte ihm ja schlecht erklären, dass sie die halbe Nacht im Traum Schweine geschlachtet hatte …
    „Guck mal“, flüsterte ihre Mutter von rechts. „Da vorne in der ersten Reihe. Das ist Anni Bockelmann. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte dein Vater sie geheiratet. Findest du nicht auch, dass er Glück gehabt hat? Sie wiegt inzwischen fast drei Zentner!“
    Livia sah nach vorne, wurde aber abgelenkt, als sie das Fenster erblickte, das sich links neben dem Altar befand. Es war kunstvoll bemalt und leuchtete in den herrlichsten Farben. „Das Fenster da“, flüsterte sie Henning zu. „Findest du nicht auch, dass es wunderschön ist?“
    „Ja, ganz nett. Hast du Lust, mich demnächst mal zu besuchen? Ich könnte dir die Apfelbäume zeigen, über die wir gesprochen haben!“
    Livia war wie hypnotisiert von der Leuchtkraft der dargestellten Szene. „Denkst du, dass das der Garten Eden sein soll? Links der Baum der Erkenntnis und rechts Adam und Eva?“
    „Wahrscheinlich. Wann hättest du

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