Als gaebe es kein Gestern
nebeneinanderher leben.“
Karen hielt mitten in ihrer Bewegung inne und sah Livia an. „Was ist daran falsch? Immerhin streitet ihr euch nicht.“
„Aber er ist mein Ehemann“, antwortete Livia. „Kein Ehepaar dieser Welt sollte so miteinander leben.“
„Ich weiß nicht …“ Karen wirkte etwas zögerlich. „Ihr lebt ja nicht freiwillig unter einem Dach. Und ihr liebt euch nicht. Glaub mir, selbst Paare, die einander lieben, finden manchmal keinen gemeinsamen Weg. Wie wollt ihr dann miteinander auskommen?“
„Ich könnte beschließen , ihn zu lieben“, antwortete Livia schlicht.
Karen starrte sie an. In ihrer linken Hand befand sich immer noch der Kleiderbügel, in ihrer rechten die Jacke. „Wie bitte?“
„Da war diese Talkshow“, sagte Livia ein wenig übereifrig, „und es war ein Ehetherapeut zu Gast. Der hat gemeint, man könne jede Ehe retten, wenn nur einer der Partner beschließt, den anderen von Herzen zu lieben.“
Karens Blick verriet große Skepsis. „Und du meinst, du könntest das?“
Livia zuckte die Achseln. „Ich könnte es zumindest versuchen …“
„Arvin lieben“, murmelte Karen, „… ohne seine Mithilfe … ohne Grund.“ Sie malte mit dem Bügel ein Herz in die Luft. „Er ist mein Bruder … Ich kenne ihn seit einer Ewigkeit. Und selbst mir fällt es manchmal schwer, ihn zu lieben …“ Man müsste eine Heilige sein, um das zu schaffen . Ihr Blick fiel auf Livia. Livia war nie eine Heilige gewesen … Dann schüttelte sie urplötzlich den Kopf und sagte laut: „Nein, keine Chance.“
„Jetzt entmutige mich doch nicht so“, protestierte Livia und nahm Karen erst den Bügel und dann die Jacke aus der Hand. Dann hängte sie beides an die Garderobe. „Hilf mir lieber bei meinem Plan!“
„Plan, wieso Plan?“
Livia packte Karen am Arm und zog sie mit sich fort. „Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn die Liebe auch zum Ausdruck kommt.“ Sie zerrte Karen bis in die Küche. „Ich hab schon mal ein paar Stichworte aufgeschrieben.“
Karen zog die Stirn kraus und näherte sich dem Küchentisch, auf dem ein Zettel und ein Stift lagen.
„Setz dich“, befahl Livia. „Möchtest du einen KiBa?“
Karen schüttelte den Kopf und zog einen der Stühle zurück. Als sie darauf Platz nahm, knarrte er verdächtig. „Gar nichts, danke.“
„Übrigens“, sagte Livia und warf Karen einen prüfenden Blick zu. „Warst du endlich beim Arzt?“
„Der Termin ist nächste Woche“, antwortete Karen und nahm den Zettel zur Hand.
„Hast du das nicht letzte Woche auch schon gesagt?“, fragte Livia argwöhnisch.
„Lieblingsgericht, Knabbereien, Getränke“, las Karen vor. Es waren die Überschriften einer von Hand gemalten Tabelle. „Was hat das zu bedeuten?“
„Das sind die Dinge, mit denen ich meine Liebe zum Ausdruck bringen könnte“, strahlte Livia und setzte sich neben Karen. „Ich muss bloß wissen, wie Arvin zu alldem steht.“
„Du meinst, was er gerne isst und trinkt oder wie?“
„Genau! Glaubst du, er taut auf, wenn ich ihm siebenmal in der Woche sein Leibgericht koche?“
„Du meinst: Liebe geht durch den Magen?“
Livia nickte eifrig.
„Hm … ich weiß nicht …“, überlegte Karen. „Kannst du überhaupt kochen?“
„Nein“, musste Livia zugeben. Aber sie hatte es auch nie probiert. Jedenfalls nicht seit ihrem Unfall. Es war eben nicht nötig gewesen. Sie hatte einfach aufgewärmt, was Karen für sie vorgekocht hatte. „Aber ich könnte es sicher lernen. Also sag schon. Was isst er gern?“
„Keine Ahnung“, stammelte Karen. „Ich meine … also das ist gar nicht so einfach.“
„Los doch!“, drängelte Livia. „Lass dir was einfallen!“
„Er mag Weintrauben …“
„Weintrauben, aha“, nickte Livia und riss Karen den Zettel aus der Hand. „Das muss ich mir aufschreiben. Weiter?“
„Lakritz …“ An dieser Stelle wirkte Karen etwas zögerlich.
„Was für Lakritz?“
„Lakritz eben. Ich kenn mich nicht aus, ich mach mir nichts aus Lakritz.“
„Und wo krieg ich das?“
„Im Supermarkt wahrscheinlich … was weiß ich …“
„Also gut“, seufzte Livia. „Weiter!“
„Weiter … weiter, du bist gut!“ Karen griff in ihre Haare und begann, damit herumzuspielen. Zuerst klemmte sie sich die Haare hinter die Ohren, dann bildete sie einen Zopf, den sie gleich darauf wieder fallen ließ. „Arvin ist vielleicht mein Bruder, aber das heißt noch lange nicht, dass ich all seine Vorlieben kenne
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