Als gaebe es kein Gestern
Andersherum funktionierte es besser – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sich Livia mit dem Schäler so heftig in ihre rechte Hand schnitt, dass sie eine halbe Stunde und die halbe Hausapotheke benötigte, um die Blutung wieder zu stillen. Von nun an arbeitete Livia unter Schmerzen, dafür aber auch vorsichtiger.
Entsprechend lange dauerte es. Für den ersten Apfel benötigte Livia eine geschlagene Dreiviertelstunde, für den zweiten fast die gleiche Zeit. Erst danach ging es langsam besser. Der fünfte Apfel war eine Sache von fünfzehn Minuten. Trotz dieses Erfolges konnte sich Livia nicht richtig freuen. Ihre Hand schmerzte fürchterlich, außerdem hatte sie zittrige Knie und ziemlichen Hunger. Aber es ging inzwischen auf halb sieben zu und der Teig war noch nicht fertig! Für den Fall, dass es Probleme geben würde, brauchte sie unbedingt eine Zeitreserve!
Sie gönnte sich ein paar Schlucke Wasser und holte dann sofort den Teig aus dem Kühlschrank. Nachdem sie ihn noch einmal kurz durchgeknetet hatte, teilte sie ihn in zwei Teile und begann, die erste Hälfte mithilfe eines Nudelholzes zu einem Rechteck auszuwalken. Das funktionierte eigentlich ganz gut, vor allem, weil sie sich daran erinnert hatte, dass sie das Nudelholz mit Mehl bestäuben sollte. Auch das anschließende Bestreuen mit Haferflocken, der Hälfte der Apfelscheiben, Nüssen, Zucker und Zimt war kein Problem. Als sie jedoch das Wort „Schokoladen stückchen “ las, breitete sich so etwas wie Panik in ihr aus. Sie wickelte eine Tafel Schokolade aus, zerteilte diese den Einkerbungen entsprechend und betrachtete zweifelnd das Ergebnis. Stücke waren das auf jeden Fall, aber Stück chen ? In ihrer Not rief sie Karen an und erfuhr, dass die Schokolade noch erheblich stärker zerkleinert werden müsse. Karen verwies dabei auf eine Küchenmaschine, doch sah sich Livia nicht in der Lage, eine solche zu benutzen. Selbst wenn sie in Arvins Küche eine gefunden hätte, wäre es ihr kaum möglich gewesen, diese richtig zu bedienen. Sie griff daher erneut zum Messer. Dabei stellte sie fest, dass Schokolade zu den härtesten Lebensmitteln gehörte, die sie kannte. Dieses Mal verletzte sie sich zwar nicht, doch bezahlte sie die Schokoladenstückchen mit einer leuchtend roten, dick angeschwollenen linken Hand.
„Teig zusammenschlagen“ lautete die nächste Anweisung ihres Rezeptes. Aber das war leichter geschrieben als getan. Als Livia den Teig an den Seiten anzuheben versuchte, blieb er einfach kleben und rührte sich nicht vom Fleck. Er war wie mit dem Küchentisch verwachsen. Zwar ließ er sich mithilfe von Messern und Pfannenwendern quasi vom Tisch herunterschneiden, doch ging dies auf Kosten der Stabilität. Irgendwann hatte Livia nur noch Stücke in der Hand und war vollkommen entnervt.
Und dabei war es schon … acht Uhr ???
Der Blick auf die Uhr versetzte Livia endgültig in Panik. Die Zeit wurde knapp! Sie sprintete zum Kühlschrank, holte die Schüssel mit der anderen Hälfte des Teiges heraus, knallte ihn auf den Küchentisch, wandte sich wieder dem missglückten Teil zu, versuchte die Äpfel und anderen Zutaten herunterzukratzen, ließ die Hälfte auf den Fußboden fallen, begann die Sachen wieder aufzuheben, stand auf, um eine Schüssel zu holen, drehte sich im Kreis … und sank im nächsten Moment neben ihren Zutaten auf die Knie. Wenn sie jetzt weitermachte, das wusste sie, wäre in fünf Minuten alles ruiniert! Einige Minuten saß sie einfach nur so da und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. In ihrem Kopf herrschte so ein Durcheinander! „Ich brauche Hilfe“, flüsterte sie schließlich. „Karen kann mir helfen.“ Und dann versuchte sie, all ihre Konzentration auf dieses Vorhaben zu richten.
Als sie sich gleich darauf erhob, war es ihr immerhin möglich, das Telefon zu finden und auch Karens Nummer zu wählen.
„Scholl“, meldete sich diese.
„Du musst mir helfen“, sagte Livia erstaunlich ruhig. „Es geht nämlich alles schief. Alles.“
„Livia?“, fragte Karen.
„Den Teig krieg ich nicht wieder vom Tisch herunter. Und die Füllung liegt auf dem Fußboden.“
„Dabei klingst du ganz entspannt.“
„Das täuscht“, entgegnete Livia. „Arvin kommt um zehn Uhr. Ich bin ein Wrack!“
„Hast du denn die Schokolade zerkleinert?“
„Die Schokolade ist prima.“ Jetzt mischte sich doch ein Hauch von Unwillen in Livias Stimme. „Aber der Teig … es ist, als hätte ich ihn mit Uhu versetzt.“
„Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher