Als gaebe es kein Gestern
„Wer … Arvin?“
„Ja, wer denn sonst?“, lachte Gunda. „Hat es ihm nun gefallen oder nicht?“
Livia starrte ihre Nachbarin an, als hätte sie sich vor ihren Augen in eine Hyazinthe verwandelt. „Wieso gefallen?“
Jetzt war es Gunda, die nicht mehr so richtig weiterwusste. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Geht es dir
gut?“
„Das Beet“, stammelte Livia, die allmählich begriff. „Ist es …? Ich meine …“ Sie brach ab, ging ein paar Schritte vorwärts und blieb dann unentschlossen auf den Waschbetonplatten stehen, aus denen der Tritt bestand. Sie waren eiskalt heute Morgen! Egal … Sie setzte sich erneut in Bewegung, tapste die Stufen hinab und lief über die Betonsteine, die sich daran anschlossen.
Es waren nur wenige Schritte, dann kamen die ersten Blumen in Sicht.
Kurz darauf stand sie vor ihrem Beet – ihrem intakten Beet. Alles war genau so, wie sie es gestern hinterlassen hatte!
Sie starrte es an, bis die gelben und blauen Flecken zu einer einheitlichen Masse verschwammen. Hieß das, dass sie gewonnen hatte? Gesiegt? Eins zu null?
„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Gunda.
Livia hatte sie gar nicht kommen hören. „Doch“, stammelte sie und drehte sich zu Gunda um, „alles bestens.“ Sie grinste. „Sogar allerbestens! Eins a sozusagen!“
Gunda nickte, sah aber immer noch ein bisschen skeptisch aus. „Du wolltest mir gerade sagen, wie Arvin das Beet fand.“
„Toll!“ Aber als Livia Gundas Blick sah, ruderte sie zurück. „Na ja … toll ist übertrieben … eigentlich … fand er es furchtbar … aber …“ Sie atmete einmal tief durch und log: „Im Grunde hatten wir einen ziemlich heftigen Streit. Aber nur am Anfang. Zum Schluss hat er eingesehen, dass es mein gutes Recht ist, ein so verschwindend kleines Stück des Gartens nach meinen Wünschen zu gestalten. Was natürlich bedeutet, dass der Rest vorerst so bleibt, wie er ist. Aber es ist ein Anfang, findest du nicht auch?“
Gunda nickte, hatte aber immer noch diesen Ausdruck von Argwohn in den Augen. „Was verstehst du unter einem ‚ziemlich heftigen Streit‘?“, wollte sie wissen.
„Eine laute Diskussion“, antwortete Livia und gab sich alle Mühe, locker zu wirken.
„Ich will …“ – Gunda zögerte – „na ja … dir nicht zu nahe treten, aber Manfred und ich, wir …“
Livia hob fragend die Augenbrauen.
„… haben das Gefühl …“ Gunda brach schon wieder ab und starrte auf einen Zitronenfalter, der gerade jetzt eine der blauen Hyazinthen umkreiste.
„Spuck’s aus“, verlangte Livia.
Gunda riss ihren Blick los und wandte ihn Livia zu. „Schlägt er dich?“, fragte sie kurzerhand.
„Häh?“
„Arvin. Ich will wissen, ob er dich schlägt.“
„Aber … aber nein“, lachte Livia. „Wie kommst du denn darauf?“
„Du modelst dreimal das Beet um, bevor du es ihm präsentierst, Livia“, sagte Gunda ernst. „Du hast furchtbare Angst vor ihm.“
„Angst – nein!“, protestierte Livia und schüttelte heftig den Kopf. „Respekt vielleicht, aber keine Angst. Und außerdem … ist es … viel eher Liebe, die mich treibt. Ich … ich weiß einfach, wie sehr Arvin Veränderungen hasst, und ich will ihn nicht verletzen. Das ist alles.“
„Du sprichst nie über ihn.“ Das war eine Feststellung.
Livia schluckte. Nachbarschaftliche Nähe brachte Nachteile mit sich, die sie erst jetzt erkannte. „Wir sind … wir leben … seit dem Unfall … ein bisschen nebeneinanderher.“ Sie zuckte verlegen die Achseln. „Ist leider so“, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu.
Gundas Blick blieb prüfend. „Und das ist alles, ja?“
„Ja!“, beteuerte Livia. „Ganz bestimmt!“
Ihre Nachbarin seufzte. „Ich will nicht weiter nerven“, sagte sie schließlich. „Aber wenn du jemals Hilfe brauchst …“ – sie warf Livia einen vielsagenden Blick zu –, „jemals … dann sind wir für dich da. Und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit, verstanden?“
Livia nickte. Diese Aussage beruhigte sie mehr, als ihr lieb war.
❧
Als Livia wenig später ins Haus zurückkehrte, konnte sie immer noch nicht ganz fassen, dass Arvin das Beet akzeptiert hatte. Es war fast ein bisschen zu einfach gewesen. Oder sollte das dicke Ende noch kommen?
Sie war neugierig, wie Arvin auf die kaputte Vase reagiert hatte. Deshalb steuerte sie auf das Wohnzimmer zu. Hatte er die Scherben liegen lassen oder hatte er sie entsorgt?
Als sie die Wohnzimmertür öffnete, dachte sie zuerst,
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