Als gaebe es kein Gestern
kleines bisschen Trost zu verspüren, schlief sie in dieser Nacht unter dem Bett.
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„Ich brauche deine Hilfe“, sagte Livia ins Telefon. Ihre Stimme klang kratzig. Sie hatte schlecht geschlafen und im Grunde die ganze Nacht damit verbracht, eine Lösung für ihre verfahrene Situation zu finden.
„Und zwar?“ Enno war mit dem Wagen unterwegs, das hörte Livia deutlich an den Fahrgeräuschen. Wahrscheinlich hatte er sogar die Freisprechanlage eingeschaltet.
„Du musst mir helfen, einen Job zu finden.“
Stille. „Ich dachte, du hattest dich entschieden, das Geld von Arvin einzufordern.“ Ennos Worte waren gerade so zu verstehen.
„Ich werde mir eine eigene Wohnung suchen“, verkündete Livia.
Wieder Stille.
„Glaubst du, ich könnte als Floristin arbeiten?“, fragte Livia. Ennos Schweigen hatte sie ein bisschen nervös gemacht.
Enno räusperte sich. „Na ja … Floristinnen verdienen nicht das Allermeiste“, gab er zu bedenken.
„Ich brauche nicht viel“, behauptete Livia. „Eine klitzekleine Wohnung würde genügen.“ Obwohl … sie brauchte auch noch Geld für einen Privatdetektiv. Gunda hatte immer noch nichts über ihre Eltern herausgefunden … „Meinst du, das kriege ich finanziert?“
Erneut keine Antwort.
„Hörst du mich überhaupt?“, fragte Livia in das Rauschen hinein.
„Ich hab dir vor einiger Zeit schon mal angeboten, dass du zu mir ziehen könntest …“, sagte Enno langsam.
Dieses Mal schwieg Livia.
„Hast du mich verstanden?“
Livia telefonierte vom Bett aus und zog jetzt ihre Bettdecke ein wenig höher. Das Gespräch mit Arvin hatte ihr gezeigt, dass sie unabhängig werden musste. Sicher brachte es keinen Vorteil, wenn sie von einer Abhängigkeit in die nächste rutschte. „Ich hab das Gefühl, dass ich auf eigenen Beinen stehen sollte“, sagte sie vorsichtig. „Das verstehst du sicher.“
„Selbst wenn du einen Job findest“, begann Enno, „wirst du nicht genug verdienen, um ganz allein zurechtzukommen.“ Er zögerte. „So wie ich die Dinge sehe, wirst du nicht umhinkommen, dich von Arvin unterstützen zu lassen.“
„Lieber verhungere ich“, knurrte Livia und hatte wieder die Geldscheine vor Augen, die Arvin ihr vor die Füße geworfen hatte. Wie sie eben gesehen hatte, lagen sie immer noch auf dem Küchenfußboden.
„Entweder Arvin oder ich“, sagte Enno. „So ist das nun mal.“
Livia seufzte tief. „Wieso bietest du mir das an, Enno? Was hast du davon?“
„Ich mag dich halt“, antwortete Enno. „Du mich doch auch, oder nicht?“
Livia antwortete nicht gleich. Genau diese Frage hatte sie sich schon oft gestellt. Natürlich mochte sie Enno. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich unter „mögen“ etwas mehr vorstellte. Und sie wusste einfach nicht, ob „mehr“ vorhanden war. Wie fühlte sich „mehr“ überhaupt an? Hatte sie dieses „Mehr“ jemals in ihrem Leben empfunden? Für Arvin vielleicht?
„Fühl dich nicht unter Druck gesetzt“, schob Enno nach. „Ich weiß, dass das Leben mit einer Amnesie verwirrend sein muss. Überleg dir einfach in Ruhe, was du willst und was nicht. Am besten … ich komm nachher mal vorbei. Hast du Zeit?“
„Heute geht’s nicht“, antwortete Livia. „Ich fahre mit Gunda und Manfred den Hund holen.“ Sie seufzte tief. Es gab keinen Grund mehr für einen Hund. Und wenn sie erst arbeiten ging, wurde das Ganze noch schwieriger. Auf der anderen Seite hatte der Gedanke an einen Gefährten, an jemanden, den sie lieben und versorgen konnte, an jemanden, der sie brauchte, ziemlich viel für sich. Und sie hatte ja auch schon zugesagt.
„Den Hund, ach so …“, sagte Enno nachdenklich. „Wohin fahrt ihr noch mal?“
Livia sagte es ihm.
„Das sind mindestens drei Stunden Fahrt“, stellte Enno fest. „Sechs Stunden Fahrt insgesamt, eine Stunde Aufenthalt. Vielleicht hast du ja Lust, mir das kleine Kerlchen heute Abend noch vorzustellen?“
„Hm“, machte Livia skeptisch.
„Am besten, du rufst mich an … sagen wir … ’ne Stunde bevor du zu Hause bist? Dann besprechen wir, ob es noch einen Zweck hat.“
„Ich hab kein Handy …“
„Haben Gunda und Manfred denn keins?“
„Doch, ich glaub schon …“
„Wenn ich komme, bringe ich ein paar Stellenanzeigen mit“, schlug Enno vor.
„Das würdest du tun?“ Livia strahlte. „Ich ruf dich an! Eine Stunde bevor wir zu Hause sind – in Ordnung!“
„Bis dann also.“
„Ja, bis dann.“
Als Livia aufgelegt
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