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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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und Max hatten sie stehen lassen.
    »Warum dürfen sie denn nicht mit uns spielen?«
    fragte Anna, aber Max wußte es auch nicht. Es blieb ihnen nichts übrig, als in den Speisesaal zurückzugehen, wo Mama und Papa noch beim Frühstück saßen.
    »Ich dachte, ihr spielt mit Franz und Vreneli«, sagte Mama.
    Max erklärte, was geschehen war.
    »Das ist sehr seltsam«, sagte Mama.
    »Vielleicht könntest du einmal mit der Mutter sprechen«, sagte Anna. Sie hatte gerade die deutsche Frau entdeckt, die mit einem Herrn, der wahrscheinlich ihr Ehemann war, an einem Tisch in der Ecke saß.
    »Das will ich auch«, sagte Mama.
    In diesem Augenblick erhoben sich die deutsche Frau und der Mann, um den Speisesaal zu verlassen und Mama ging ihnen nach. Sie trafen zusammen, aber es war zu weit entfernt, als daß Anna hätte hören können, was gesagt wurde. Mama hatte erst ein paar Worte gesprochen, als die deutsche Frau etwas erwiderte, das Mama vor Zorn erröten ließ. Die deutsche Frau sagte noch etwas und wollte davongehen, aber Mama packte sie beim Arm.
    »O nein!« schrie Mama mit einer Stimme, die durch den ganzen Saal hallte. »Das ist noch lange nicht das Ende von allem!«
    Dann wandte sie sich brüsk ab und kam zum Tisch zurück marschiert, während die deutsche Frau und ihr Mann mit hochnäsigen Mienen hinausgingen.
    »Der ganze Saal konnte dich hören«, sagte Papa ärgerlich, als sich Mama wieder setzte. Er haßte Szenen.
    »Gut!« sagte Mama in einem so aufgebracht klingenden Tonfall, daß Papa »sssst« flüsterte und mit den Händen beruhigende Gesten machte. Mama versuchte, ruhig zu sprechen, aber dabei wurde sie noch wütender, und schließlich konnte sie die Worte kaum herausbringen.
    »Das sind Nazis«, sagte sie. »Sie haben ihren Kindern verboten, mit Max und Anna zu spielen, weil unsere Kinder jüdisch sind!« Ihre Stimme schwoll vor Empörung an. »Und du willst, daß ich still sein soll!« schrie sie so laut, daß eine alte Dame, die immer noch frühstückte, beinahe ihren Kaffee verschüttet hätte.
    Papas Mund wurde schmal. »Es würde mir ja auch nicht im Traum einfallen, Anna und Max mit Kindern von Nazis spielen zu lassen«, sagte er. »Es kommt also auf eins heraus.«
    »Aber was ist mit Vreneli und Franz?« fragte Max.
    »Wenn sie mit den deutschen Kindern spielen, heißt das doch, daß sie nicht mit uns spielen können.«
    »Ich glaube, Vreneli und Franz werden sich entscheiden müssen, wen sie für ihre Freunde halten«, sagte Papa. »Die Schweizer Neutralität ist gut und schön, aber sie kann auch zu weit gehen.« Er stand vom Tisch auf. »Ich werde jetzt ein Wörtchen mit ihrem Vater sprechen.«
    Nach einiger Zeit kam Papa zurück. Er hatte Herrn Zwirn gesagt, daß seine Kinder sich entscheiden müßten, ob sie mit Max und Anna oder den deutschen Kindern spielen wollten. Sie könnten nicht mit beiden spielen. Papa hatte gesagt, sie sollten sich nicht übereilt entscheiden, sondern ihm heute abend Bescheid geben.
    »Ich glaube, sie entscheiden sich für uns«, sagte Max. »Wir werden ja noch lange hier sein, nachdem die anderen Kinder weg sind.«
    Aber was sollten sie für den Rest des Tages anfangen? Max ging mit seiner Angelrute, seinen Würmern und seinen Brotstückchen an den See. Anna konnte sich zu nichts entschließen. Endlich faßte sie den Plan, ein Gedicht über eine Lawine zu schreiben, die eine ganze Stadt verschüttete, aber es kam nicht viel dabei heraus. Als sie an die Illustration ging, fiel ihr ein, daß sie alles weiß malen mußte, und das fand sie so langweilig, daß sie es aufgab. Max hatte, wie gewöhnlich, nichts gefangen, und am Nachmittag waren sie beide so niedergeschlagen, daß Mama ihnen einen halben Franken gab, um Schokolade zu kaufen - obwohl sie vorher gesagt hatte, Schokolade wäre zu teuer.
    Als sie vom Süßwarenladen zurückkamen, sahen sie Franz und Vreneli, die im Eingang des Gasthofes ernst miteinander sprachen. Sie gingen, den Blick geradeaus gerichtet, verlegen an ihnen vorbei. Danach wurde Anna und Max noch elender zumute. Dann ging Max wieder zum Angeln und Anna entschloß sich, schwimmen zu gehen, um noch etwas vom Tag zu retten. Sie ließ sich auf dem Rücken treiben, was sie eben erst gelernt hatte, aber es machte sie nicht heiterer. Es war alles so blöd. Warum konnten sie nicht alle zusammen spielen, Max und Anna, die Zwirns und die deutschen Kinder? Warum mußte man sich entscheiden und Partei ergreifen?
    Plötzlich platschte es im Wasser neben

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