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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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verbrachten die Ferien mit ihren Eltern im Gasthaus.
    »Aus welchem Teil von Deutschland kommt ihr?« fragte Max. »München«, sagte der Junge.
    »Wir haben früher in Berlin gewohnt«, sagte Anna.
    »Mensch«, sagte der Junge, »Berlin muß prima sein.«
    Sie spielten alle zusammen fangen. Es hatte früher nie viel Spaß gemacht, weil sie nur zu viert gewesen waren - (Trudi zählte nicht, weil sie nicht schnell genug laufen konnte und immer schrie, wenn jemand sie fing.) Aber die deutschen Kinder waren beide sehr flink auf den Beinen, und zum erstenmal war das Spiel wirklich aufregend. Vreneli hatte gerade den deutschen Jungen gefangen, und der fing Anna, so daß jetzt sie an der Reihe war, jemanden zu fangen, und sie rannte hinter dem deutschen Mädchen her. Sie liefen immer rund um den Hof des Gasthauses, schlugen Haken, sprangen über Gegenstände, bis Anna glaubte, sie werde das Mädchen gleich haben - aber plötzlich stellte sich ihr eine große, dünne Frau mit einem unangenehmen Ausdruck im Gesicht in den Weg. Die Frau war so plötzlich aufgetaucht, daß Anna ihren Lauf kaum bremsen konnte und beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre.
    »Verzeihung«, sagte Anna, aber die Frau gab keine Antwort. »Siegfried«, rief sie mit schriller Stimme.
    »Gudrun! Ich habe euch doch gesagt, daß ihr nicht mit diesen Kindern spielen sollt!« Sie packte das deutsche Mädchen beim Arm und zog sie weg. Der Junge folgte, aber als seine Mutter nicht hinschaute, schnitt er Anna eine Grimasse und hob entschuldigend die Hände. Dann verschwanden die drei im Gasthaus.
    »Was für eine böse Frau«, sagte Vreneli.
    »Vielleicht glaubt sie, wir wären schlecht erzogen«, sagte Anna. Sie versuchten, ohne die deutschen Kinder fangen zu spielen, aber es machte keinen Spaß und endete mit dem üblichen Durcheinander, weil Trudi, wenn sie gefangen wurde, in Tränen ausbrach.
    Anna sah die deutschen Kinder erst am späten Nachmittag wieder. Sie waren wohl in Zürich einkaufen gewesen, denn jeder von ihnen trug ein Paket und die Mutter gleich mehrere. Als sie gerade ins Haus gehen wollten, glaubte Anna, dies sei eine Gelegenheit, zu zeigen, daß sie nicht schlecht erzogen war. Sie sprang herbei und machte ihnen die Tür auf.
    Aber die deutsche Frau schien gar nicht erfreut.
    »Gudrun! Siegfried!« sagte sie und schob ihre Kinder schnell nach drinnen. Dann schob sie sich mit saurer Miene selber an Anna vorbei und versuchte dabei, soviel Abstand wie möglich zu halten. Das war schwierig, denn mit den Paketen wäre sie beinahe in der Tür stecken geblieben, aber schließlich war sie hindurch und verschwand. Und nicht einmal ein Wort des Dankes. »Die deutsche Frau ist selber schlecht erzogen«, dachte Anna.
    Am Tag darauf hatten Anna und Max sich mit den Zwirn-Kindern zu einem Spaziergang in den Wald verabredet, und am Tag danach regnete es, und am Tag darauf nahm Mama sie mit nach Zürich, um Socken zu kaufen. Daher sahen sie die deutschen Kinder nicht mehr. Aber nach dem Frühstück am darauffolgenden Morgen, als Max und Anna auf den Hof traten, sahen sie sie wieder mit den Zwirn-Kindern spielen, Anna lief auf sie zu. »Wollen wir wieder fangen spielen?« fragte sie.
    »Nein«, sagte Vreneli und wurde rot. »Auf jeden Fall kannst du nicht mitspielen.«
    Anna war so überrascht, daß sie kein Wort herausbringen konnte. War Vreneli wieder wegen des rothaarigen Jungen böse? Anna hatte ihn doch schon ewig nicht gesehen.
    »Warum kann Anna nicht mitspielen?« fragte Max.
    Franz war genauso verlegen wie seine Schwester.
    »Ihr könnt beide nicht mitspielen«, sagte er und deutete auf die deutschen Kinder. »Sie sagen, daß sie nicht mit euch spielen dürfen.«
    Den deutschen Kindern war offensichtlich nicht nur verboten, mit ihnen zu spielen, sondern auch, mit ihnen zu sprechen, denn der Junge sah aus, als wolle er etwas sagen. Aber schließlich schnitt er nur wieder eine entschuldigende Grimasse und zuckte mit den Schultern.
    Anna und Max sahen einander an. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Dann fing Trudi, die zugehört hatte, plötzlich an zu singen: »Anna und Max dürfen nicht spielen! Anna und Max dürfen nicht spielen!«
    »Halt den Mund!« sagte Franz. »Los, kommt!« und er und Vreneli rannten zum See hinunter und die deutschen Kinder folgten ihnen. Einen Augenblick lang stutzte Trudi, dann sang sie noch einmal ihr herausforderndes »Anna und Max dürfen nicht spielen!« und rannte auf ihren kurzen Beinen hinter den andern her. Anna

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