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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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merkwürdig, als ich das gestehen musste, fast eine Erleichterung.«
    »Fünf Jahre«, sagt Lila nachdenklich. »Dann konntest du in diesen Jahren also alles tun, was du dir gewünscht hast und was später nicht mehr ging.«
    »Nicht alles. Ich wollte wahnsinnig gern Auto fahren. Ich hab die ganzen blöden Autozeitschriften gekauft und die Straßenverkehrsordnung auswendig gelernt und alles. Aber als ich alt genug war, um Fahrstunden zu nehmen, war es zu spät; das Einzige, was ich fahren durfte, waren Autoscooter. Und manchmal ließen meine Brüder mich für sie schalten, wenn wir irgendwohin fuhren. Wahrscheinlich sind alle Jungs wild auf Autos«, sagt Henry wehmütig.
    »Aber du hast sicher viel anderes gemacht. Hast Braille gelernt, dich flachlegen lassen und so.«
    Henry verschluckt sich vor Schock an seiner Auster. »Mich flachlegen lassen? Mit sechzehn?«
    »Na klar.« Lila kommt gar nicht auf die Idee, sie könnte etwas Anstößiges gesagt haben. »Die meisten Sechzehnjährigen würden doch ihre behaarte, vierzigjährige Sportlehrerin besteigen, wenn sie die geringsten Chancen hätten.«
    »Also, ich nicht. Ich habe nie mit einem Mädchen geschlafen, wenn keine Liebe dabei war«, sagt Henry herausfordernd. Als Lila schweigt, fühlt er sich zu weiteren Erklärungen gedrängt. »Ich weiß, das hört sich ziemlich arrogant an; so war es aber nicht gemeint. Ich will über andere nicht urteilen, aber ich bin nun einmal so. Meine Brüder hielten mich für einen totalen Freak. Tun sie wahrscheinlich heute noch.«
    Darauf verstummt er, bis Lila nach einer Weile schnippisch bemerkt: »Ach, war das vielleicht mein Stichwort, das Gegenteil zu beteuern?«
    Henry lacht; er ist nicht gekränkt. »Falls es das war, hast du die Chance verpasst.«
    Lila lässt sich auf den Kies sinken und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, dass mir der Strand an strahlenden Tagen wie heute so gut gefällt, wenn alles funkelt. Das Licht ist so grell, dass es blendet, es verbirgt genauso viel, wie es enthüllt. Das hat etwas Unheimliches. Da muss ich an im Sand vergrabene Leichen denken.«
    »Du gehörst zu den Menschen, die überall etwas Negatives sehen«, bemerkt Henry, »sogar am schönsten Tag. Wahrscheinlich würdest du selbst von Rosen sagen, sie haben etwas Unheimliches, weil sie fest geschlossene Knospen und scharfe kleine Dornen haben.«
    »Stimmt doch!« Lila staunt, dass er ihre Meinung über Rosen erraten hat. »Das habe ich mir schon immer gedacht.«
    »V ielleicht sind sie nicht die allerfreundlichsten Blumen«, gibt Henry zu. »W enn ich Rosen kaufe, schaffe ich es immer, mich zu stechen. Aber ich kaufe sie trotzdem; nicht, weil sie so schön sind, denn das bleibt mir verborgen, sondern weil sie so wunderbar duften, trotz ihrer dornigen Stiele.« Etwas verlegen fügt er hinzu: »Das klingt jetzt lächerlich romantisch, aber sie erinnern mich daran, dass auch wunderbare Dinge ihre Fehler haben können. Das ist kein Grund, sie abzulehnen.«
    »Sprichst du von mir oder von dir?«, erkundigt sich Lila amüsiert.
    »Da hält sich aber jemand für enorm wichtig«, kontert Henry. »Ich habe nur von Rosen gesprochen.«
    Lila rollt herum und nimmt sich noch eine Auster. »Die letzten beiden sind für dich, ich habe schneller gegessen als du. Weil du zu viel geredet hast, wie üblich.« Sie verspeist die Auster und sagt so nebenbei: »Ich sollte dich und Daisy wohl zurück nach London mitnehmen. Damit ihr euch nicht mit dem Zug herumplagen müsst. Das Angebot hätte ich euch schon für den Hinweg machen sollen, ich bin nur nicht darauf gekommen. In Benimmfragen bin ich ziemlich schlecht.«
    »Nein, danke«, lehnt Henry höflich, aber ziemlich kurz angebunden ab. »Ich bin kein Achtjähriger mehr, ich brauche keine Erwachsenen, die mich zu meinen Spielkameraden bringen und abholen.« Er drückt sich im Kies zum Sitzen hoch. »T ut mir leid, ich wollte nicht unfreundlich sein. Aber ich bin froh, dass du nicht das Gefühl hast, du müsstest meinetwegen Umstände machen, du müsstest mir helfen.«
    »W arum solltest ausgerechnet du meine Hilfe brauchen?«, fragt Lila aufrichtig überrascht. »Du bist schließlich der Intellektuelle mit Hochschulbildung und gutem Job.«
    »T olle Leistung«, meint Henry achselzuckend. »W ahrscheinlich hätte ich weder das eine noch das andere, wenn ich nicht blind geworden wäre und in beiden Fällen von positiver Diskriminierung profitiert hätte. Dann wäre ich Klempner

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