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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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begreift Henry, schlingt die Arme um sie und hält sie einfach, ohne ein Wort zu sagen. Lila spürt wieder diese tiefe, fast unheimliche Ruhe, die sie empfunden hatte, als er sie zum ersten Mal berührt, zum ersten Mal ihre Hand gehalten hat, und endlich fühlt sie sich vor der düsteren Schönheit des Tages beschützt, vor ihrem eigenen verdrehten, unerbittlichen Ich. »Mach dich auf was gefasst, Henry«, flüstert sie so dicht bei ihm, dass ihre Lippen sein Gesicht streifen. »Du hast mich rumgekriegt.« Und als sie sich endlich aneinanderschmiegen und küssen, die Lippen rissig vom Wind, die Münder warm und geschwollen vom Salz, da geschieht es so natürlich, wie sich eine Blume zur Sonne dreht.

Türen öffnen sich
     
     
     

     

     
    Asif sitzt im Vorraum des firmeneigenen Fitnessraums und tut, als läse er in einem Fitness-Magazin aus dem Stapel der Männerzeitschriften neben dem Wasserspender. Er ist gleich zu Beginn der Mittagspause hergekommen, bereits in Sporthose und T-Shirt, damit er sich nicht mit den anderen in der Gemeinschaftsumkleide umziehen muss, aber trotz seines plakativen Drangs nach Körperertüchtigung ist er nicht allzu enttäuscht, dass der Fitnessraum abgeschlossen ist. Manchmal vergisst das Reinigungspersonal, ihn wieder aufzuschließen. Er ruft die Putzkolonne an und sagt Bescheid; dann blättert er ein paar schicke Sportmagazine nach einem Sudoku oder einem anspruchsvollen Kreuzworträtsel durch – vergeblich, hier geht es nur um Muckis, nicht um Mentales. »Alles klar, Murphy?«, begrüßt ihn Rupert, einer der etwas älteren Kollegen aus der Wirtschaftsprüfung, wo Asif das vergangene Jahr verbracht hat. Rupert ist in Oxford im Ruderclub gewesen, und wie er so angeschlendert kommt, tief gebräunt, wirkt er sehr sportlich. Wie Asif ist er bereits umgezogen; er hat Shorts an, in denen seine schlanken, muskulösen Beine gut zur Geltung kommen, dazu trägt er ein ungemein profimäßiges Markentop aus einer High-Tech-Faser, die wahrscheinlich für Expeditionen in die arktische Eiswüste entwickelt worden ist. Außerdem hat er sich ein Handtuch um den Hals gehängt und eine Flasche Wasser in der Hand. »Hast du nicht Angst, dass du ein bisschen schwul aussiehst, wenn du solches Zeug liest?«
    Asif legt die Zeitschrift verlegen beiseite; der Typ auf dem Cover zieht mit einem machohaft selbstgefälligen Grinsen sein T-Shirt hoch und stellt einen perfekten Waschbrettbauch zur Schau. »Keine Chance. Um schwul zu sein, bin ich weder fit noch gestylt genug.« Wenn er Rupert so ansieht, beneidet er ihn ein wenig um seine vitale Ausstrahlung. Er merkt sich die Marke seines Tops und nimmt sich vor, in Zukunft ebenfalls eine Wasserflasche in den Fitnessraum mitzunehmen; Rupert sieht damit gleich viel glaubwürdiger aus, als hätte er tatsächlich vor zu schwitzen. Asif dagegen ist nur anbetungshalber hier, aber seine Göttin ist noch nicht eingetroffen. »Ich habe den Putzdienst schon angerufen«, setzt er hinzu, »die kommen gleich aufschließen.« Er ist enttäuscht, dass er den Fitnessraum mit jemandem teilen muss, neben dem er ziemlich alt aussieht. Die Matrone von der Reinigungsfirma trifft ein, sperrt unter vielen Entschuldigungen die Türen auf und schaltet das Licht an. Rupert folgt ihr unmittelbar, und Asif hört, wie kurz darauf das staubsaugerartige Summen der Rudermaschine einsetzt. Er nimmt sich ein Glas Wasser aus dem Spender, und wie ein Stromschlag durchzuckt ihn eine vertraute Freude, als er hinter sich eine freundliche Stimme hört.
    »Hallo schon wieder, Asif. Stellen Sie mir etwa nach?«, fragt Mei Lin; sie trägt noch ihr Bürokostüm und über der Schulter die Sporttasche.
    »Nein«, lügt Asif, denn wahrscheinlich kann man es nicht anders nennen, wenn er den Fitnessraum an genau den Tagen aufsucht, an denen Mei Lin das Gleiche tut. Als Halbwüchsiger hatte er aus ebendiesen Gründen auch immer in dem Zeitungsladen herumgehangen, wo Jilly Cox jobbte, die Nachbarstochter. Jeden Tag ging er ehrfürchtig hin, nur um mit ihr im selben Raum zu sein, ein paar Worte mit ihr zu wechseln und ihr in einer fast unerträglich intimen Handlung die warmen Münzen aus seiner Hand zu reichen; als Gegenleistung empfing er dafür ein Päckchen Chips und eine Coladose. Seine unerwiderte Liebe zu Mei Lin ist sogar noch schlimmer, da sich sein Verhalten nicht mehr durch pubertäre Hormone entschuldigen lässt; seine Bewunderung ist so rein, dass sie ans Obsessive grenzt. Er kann sich an seinem

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