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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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ablegt, in einer peinlich aufgeräumten Wohnung lebt und für einen angenehm anonymen, multinationalen Konzern technische Übersetzungen macht, eine erfolgreiche, unabhängige Yasmin, die am Wochenende Tennis spielt und äußerlich normal ist; nur Lila erkennt, dass ihr Lächeln lediglich durch soziale Konditionierung antrainiert und nicht im Geringsten echt ist. Während Lila in ihrer Bruchbude alt wird, sich mit Kellner-Jobs über Wasser hält, im Auto schläft, wenn die Heizung schlappmacht, und in den frühen Morgenstunden um den großzügigen, liebevollen, besseren Menschen weint, der sie hätte werden können, wenn es Yasmin nie gegeben hätte. Sie wischt sich die Tränen mit dem Handrücken weg, lässt den Motor an und fährt los, und damit ihr Mund nicht mehr zittert, beißt sie sich auf die Lippe.
     

     
    Auf dem Platz konzentriert sich Yasmin so stark auf die heranfliegenden Bälle, dass sie Asifs und Lilas Eintreffen auf der Tribüne und Lilas überstürzten Aufbruch gar nicht mitbekommt. Sie verfehlt mehr Bälle, als sie sollte, da ihr linkes Auge einen trüben Fleck hat, der es schwierig macht, den Blick auf den Ball zu fokussieren. Das perspektivische Sehen ist sogar noch eingeschränkter als sonst, alles scheint irgendwie flach. Sie läuft ungeschickt auf die fliegenden Bälle zu, da sie es nicht gewohnt ist zu rennen, und erhält vom Spann, den Fersen und den Zehen ihrer Füße eine so überwältigende sensorische Rückmeldung, dass der Rest ihres Körpers sich so leicht anfühlt, als könnte er jeden Moment vom Boden abprallen und in die Luft wirbeln. Tennis hakt sie auf ihrer inneren Liste ab. Tennis spielen lernen wie Mum, alle Simpsons -Episoden ansehen, alle Filme mit Superhelden sehen, einschließlich gar nicht echter Superhelden wie Batman, und auch die Filme mit schlechten Kritiken, die gefloppt sind, Golf spielen lernen wie Dad, auf einen Rummelplatz gehen, das Meer sehen und Muscheln sammeln, die Berge sehen, das letzte Level von Doom erreichen, Zuckerwatte machen, mit einer Töpferscheibe töpfern, Brot backen, mit dem großen roten Touristenbus durch London fahren, St Paul’s und das Parlament zeichnen, nach Frankreich fahren, nach Deutschland fahren, mit dem Flugzeug fliegen, mit einem Schiff fahren, mit einem Hubschrauber fliegen, eine Perücke tragen, Babysitter sein, ein Leben retten …
     

     
    Heute Abend wird sie Brot backen. Und nächstes Wochenende wird sie mit Asif nach Frankreich fahren, unterwegs werden sie einen Abstecher ans Meer machen und Muscheln sammeln. Ein Ball fliegt auf Yasmin zu, er zielt so perfekt auf ihre Vorhand, dass er sich in Zeitlupe zu bewegen scheint. Sie holt aus, und endlich gelingt ihr ein guter Rückschlag, die Bewegung läuft durch den ganzen Arm bis zur Schulter. Sie ist völlig konzentriert, dennoch dringt ein Freudenschrei von der Tribüne zu ihr durch. Sie blickt hoch, verärgert über die Ablenkung, und sieht Asif winken und lächeln, sein Gesicht strahlt von einer billigen Hoffnung. Yasmin erkennt den Ausdruck der Hoffnung nicht, man hat ihr gesagt, sie könne Gesichter nur auf sehr elementare Weise dechiffrieren, wie zum Beispiel Babys und Tiere, glücklich, traurig, neutral, aber sie ahmt Asif nach, so gut sie kann, und winkt lächelnd zurück. Er ist zu weit entfernt, als dass sie Blickkontakt zu ihm herstellen könnte, deshalb sieht sie einfach in seine Richtung, zählt Mississippi eins, Mississippi zwei, und richtet dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen auf dem Platz.

Im Sand vergraben
     
     
     

     

     
    Als Lila am Kiesstrand von Whitstable anhält, ist sie immer noch ziemlich aufgebracht und tut sich selbst leid. Sie hat versucht, Henry anzurufen und ihre Verabredung abzusagen, ist aber nicht durchgekommen. Eine SMS wäre feige gewesen und gefühllos obendrein. Muss er andere Leute bitten, Fremde, die zufällig vorbeigehen, ihm seine SMS vorzulesen, oder hat er ein schlaues Gerät, das sie ihm vorspricht? Lila steigt gerade aus, als ein alter Mann im Fischerpulli zu ihr sagt: »Hier können Sie nicht parken, junge Frau.« Er hat seine schwarze Strickmütze tief heruntergezogen, damit sie ihm die Ohren wärmt. »Da drüben ist ein Parkplatz, gleich beim Strand.«
    »Danke.« Lila ist total enttäuscht von der Freundlichkeit des Alten, von der ruhigen, kalten Schönheit des Strands, vom Meer, das unter der hellen, knochenweißen Sonne glitzert. Sie weiß, dass es Quatsch ist, sich an einem so herrlichen Tag, in einer so

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